Mantramänner
geworden. Und so ging es den ganzen Abend weiter. Wir wechselten warme Worte wie zwei Sozialpädagogen in der therapeutischen Zusatzausbildung, während unsere Hände und unsere Augen allmählich eine vollkommen andere Sprache benutzten. Irgendwann hatte ich Chris’ Hand zwischen meinen Schulterblättern, sein Glas an meinen Lippen.
Mehrmals sah ich von fern Anna, mal mit einer Kollegin aus der Marketingabteilung, mal mit dem neuen Bereichsleiter, einmal sogar mit Berger. Die hatte ihr Coaching wirklich verinnerlicht: Sei nicht wählerisch bei deinen Kontakten, man sieht sich immer zwei Mal. Als ich nach der Ansprache vom Chef zu ihr hinüberging, hing gerade eine Azubine im zweiten Lehrjahr an ihr dran. Wahrscheinlich hatte die auch ein Coaching bekommen und sah ihrerseits in Anna ein Ticket nach oben. Aber wenigstens musste ich in dieser Gesellschaft nicht so aufpassen, was ich sagte.
»›Wir haben im letzten Geschäftsjahr vierzigtausend Paxe generiert‹«, ahmte ich unseren obersten Boss nach, »was ist das bloß immer für eine affige Ausdrucksweise? Wieso kann der nicht sagen, dass vierzigtausend Leute mit uns verreist sind? Und die allermeisten auch ganz zufrieden?«
»Gott sei Dank nicht alle!«, kicherte Anna. »Sonst wärst du bald deinen Job los!«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Chris wieder in meine Richtung steuerte.
»Psst«, ich wedelte mit der rechten Hand, als müsste ich mit einem Windhauch einen Buschbrand löschen, »der Typ da muss ja nicht unbedingt gleich erfahren, was genau ich mache.«
»Was ist denn das für ein Typ?«, fragte Anna interessiert. »Etwa genau dein Typ?«
Ich wedelte noch hektischer, denn obwohl eine Band die Kantine mit lautem und ziemlich schlechtem Karibik-Reggae beschallte, war Chris jetzt auf Hörweite herangekommen.
»NFTC«, zischte Anna aus dem Mundwinkel, und ich hoffte, dass es dunkel genug war, damit sie nicht sah, dass ich rot anlief wie ein Teenager. Never fuck the company? Selbst für die eisernste Regel musste es doch wohl eine Ausnahme geben. Davon hatte Annas Coach natürlich wieder nichts gesagt. Prüde Bande.
Man musste es ja nicht gleich bis zum Wort mit f kommen lassen. Wenigstens nicht heute.
»Mein Freund und ich suchen ja auch gerade«, nahm die Azubine den Gesprächsfaden mit Anna wieder auf, »aber das ist gar nicht so einfach mit einer gemeinsamen Wohnung. Vor allem wegen der Anschlüsse für die Anlage.«
»Oh, davon kann ich ein Lied singen.« Anna hob ihr Glas zum Anstoßen.
Ich trat versuchsweise einen Schritt zur Seite und lauschte, was am Stehtisch nebenan gesprochen wurde. Irgendwelche Kollegen aus dem Charter-Einkauf, die ich nicht kannte. Vielleicht konnte ich mich anschließen. Chris sollte bloß nicht denken, dass ich herumstand und auf ihn wartete! Lieber tat ich so, als hätte ich ihn gar nicht bemerkt.
Ich ging noch einen weiteren Schritt auf das Männergrüppchen zu. Das Thema kam mir bekannt vor.
Es ging jedenfalls nicht um Pärchenumzüge.
»Energieaustausch!«, kicherte gerade einer von ihnen. »Wenn ich
das schon höre! Wenn ich mit einer Frau ins Bett gehe, geht’s doch nicht um Physik! Höchstens um Chemie!«
Sie fühlten sich unbelauscht und sprachen über Frauen. Und Sex. Das konnte ganz interessant werden. In sicherem Abstand blieb ich stehen.
Auch der zweite grinste. »Tja, Sportsfreund«, sagte er und legte dem dritten die Hand auf die Schulter, »so ist das eben, wenn man mit diesen Yogafrauen ausgeht.«
Sex und Yoga. Es wurde immer besser.
Der dritte entwand sich dem Griff und blickte trotzig auf seinen halb leeren Teller mit Krautsalat. »Fall du mir nur auch noch in den Rücken«, maulte er, »du hast doch selbst gesagt, dass du es mit Yoga versuchen würdest, wenn du eine neue Freundin suchst. Große Auswahl von überdurchschnittlich schönen, überdurchschnittlich intelligenten Frauen. Korrigiere mich, wenn ich mich irre.«
»Schön und intelligent schon. Aber ich habe nie behauptet, dass sie auch unkompliziert sind.«
»Na super. Wenn du einen Tipp für mich hast, gib mir bitte künftig auch das Kleingedruckte zu lesen.«
»Yogafrauen wollen sowieso keinen Sex«, rief der erste so laut, dass die Leute am Nebentisch die Köpfe verdrehten. Dass er Publikum hatte, schien den Mann nur zu ermutigen.
»Wisst ihr nämlich, was die wollen? Die wollen immer nur das eine.« Er machte eine Kunstpause. »Atmen, atmen, atmen.«
Jetzt lachten alle drei, und ich grinste in mein Glas. Lieber atmen als
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