Mara und der Feuerbringer
dem von einer sogenannten
Völva
die Rede war. Okay, das war zwar erst einmal nur ein weiteres Wort für die Unbekannten-Liste, aber Mara spürte, dass sie auf der richtigen Spur war. Darunter standen gleich mehrere Bedeutungen: Schamanin, Zauberin, Prophetin, Wahrsagerin … und Hexe!
Hilfe! Was macht Mamas verrückte Frauengruppe in meinenNachforschungen! Bitte sag, dass die nix mit mir zu tun haben!, dachte Mara, ohne zu wissen, an wen sie diese Bitte eigentlich gerade gerichtet hatte.
Wer-auch-immer war aber offensichtlich nicht bereit, Mara diesen Wunsch zu erfüllen. Denn etwas weiter unten in dem Text war doch tatsächlich von einer
Spákona
die Rede:
Weit verbreitet war dagegen »die Frau, die sieht«, eine Seherin – die etwas schwächer begabte Spákona
.
Eine
Spákona
war also so was wie eine Seherin und eine Art Vorfahrin der
Hexen
? Mara blickte von dem Bildschirm auf. Ihr Atem ging plötzlich schneller. Sie sollte eine Hexe sein? Gerade sie? Eine
Hexe
?
Bedeutete das, dass sie ab sofort mit ihrer Mutter ins Wicca-Café gehen, alberne Flatterklamotten tragen, Trommelstunden und Auren-Kurse durchleiden musste?
Mara stützte den Kopf auf beide Hände und stierte aus dem Fenster, während sie grübelte. Mamas Frauengruppe, die »Wiccas von der Au«, betonten immer wieder, dass die Hexen der sogenannten »alten Zeit« keine zauberkräftigen Schrumpelweiblein mit Hunger auf gemästete Hänsels gewesen seien, sondern weise Frauen, die sich auskannten mit Kräutern und Naturheilverfahren. Denen habe allerdings die Kirche aus Furcht vor Konkurrenz irgendwann allerlei Teufeleien angedichtet. Auch die schrecklichen Hexenverbrennungen im Mittelalter waren eine Folge davon.
Mara hatte sich anfangs auch für die Wiccas und ihre Geschichte interessiert. Doch dann hatte Mama sie mal zu einem der Treffen mitgenommen und ihr Interesse hatte sich schnell verwandelt in eine Art mitleidige Fassungslosigkeit.
Abgesehen von samstäglichen Hirni-Seminaren, montäglichem Schakra-Trommeln und diversen wöchentlichen Einzelkursen traf man sich nämlich auch noch jeden Donnerstagnachmittag im »AuerWicca-Café«. Unter anderem, um sich dort von seltsamen Heinis für viel zu viel Geld irgendwelchen wertlosen Esoterik-Plunder andrehen zu lassen. Mara war auch hier gezwungenermaßen ein paarmal mit dabei gewesen. Für sie wirkte das Ganze wie eine Art Kaffeekränzchen mit Showeinlage und anschließendem Shoppingzwang: Jeden Donnerstag luden die Wiccas einen neuen Klangschalen-Schamanen, Wünschelrutengänger, Aus- oder Einpendler zu sich ins Café ein. Dem hörten sie dann eine Stunde lang mit aufgerissenen Augen andächtig zu. Sie saßen einfach nur da, tranken komischen Tee mit zu viel Schwebeteilchen und nickten wissend, während der Schwätzer der Woche seinen ganz speziellen Einblick in die Mechaniken des Multiversums mit ihnen teilte. Und ganz am Ende zauberte jeder dieser Laberkekse natürlich irgendein einzigartiges Kleinod aus seinem Koffer, das einem die gleiche Weisheit ermöglichen würde. Natürlich zum Vorzugspreis.
Mara war auch aufgefallen, dass es immer Männer waren, die da auftauchten und ihre fragwürdigen Waren feilboten – und das, obwohl die Wiccas von der Au doch ansonsten auf Männer gar nicht so gut zu sprechen waren, oder zumindest schien es Mara so.
Und was hatte sich Mama von diesen Typen nicht schon alles andrehen lassen! Die lächerliche Drahtpyramide zum energetischen Frischhalten von Obst hatte zum Beispiel irrsinnige 84 Euro gekostet! Und das war noch ein Schnäppchen gewesen im Vergleich zu der CD mit dem schlecht gemalten Dreieck darauf, die Mara eines Tages in ihrem Kopfkissenbezug gefunden hatte. Mama hatte ihr erklärt, es handle sich um eine sogenannte Celtic-Energy-Disc™ … Sie würde ihr helfen, traumatische Erlebnisse während des Schlafes besser zu verarbeiten. Ja, klar.
Mara wusste natürlich, dass das Mamas unbeholfene Art war, Hilfe anzubieten, weil Mara ihren Papa immer noch so schmerzlich vermisste.
Mara wusste aber auch, dass eine Celtic-Energy-Disc™ nur dann etwas bewirkte, wenn man ganz fest an sie glaubte und sich dabei nicht allzu blöd vorkam.
Mara wusste aber noch etwas, und zwar, dass sie ihre Mutter sehr traurig machen würde, wenn sie ihr erklärte, dass es sich bei den wahnsinnigen EINHUNDERTACHTUNDACHTZIG EURO für einen CD-Rohling mit draufgemaltem Dreieck um rausgeschmissenes Geld handelte …
Also steckte sie die Celtic-Energy-Disc™ wieder zurück
Weitere Kostenlose Bücher