Mara und der Feuerbringer
Kapitel 1
M ara war froh, dass keiner ihrer Schulkameraden sie so sehen konnte. Vor allem nicht Larissa aus ihrer Klasse. Wenn die hier plötzlich am Isarhochufer aufgetaucht wäre … Megapeinlich!
Mara blickte sich um. Nur zur Sicherheit, man konnte ja nie wissen. Aber außer ihr selbst, ihrer Mutter und den Schreckschrauben war niemand zu sehen. Das war gut so – aber gleichzeitig auch das einzig Gute an dieser Situation. Der Rest war einfach nur fürchterlich.
Wenn Larissa sie so gesehen hätte, hätte sie auf Mara gezeigt und dann wieder dieses blöde Geräusch gemacht, das sie immer von sich gab, bevor sie lachte. So eine Art Knacks-Geräusch, das irgendwo aus ihrer Nase kam. Aber die Lache danach, die war am schlimmsten. Niemand lachte wie Larissa. In der Hölle wäre Larissas Lachen der Wecker.
Blödsinn!, zwang sich Mara im selben Moment zu denken. Larissa war einfach nur eine hohle Nuss, und die Hölle existierte entweder gar nicht oder Mara war schon mittendrin, denn schlimmer konnte es ja wohl nicht mehr werden.
Sie stand auf, streckte sich ein wenig und seufzte leise. Anscheinend war aber selbst das schon zu laut, denn sofort spürte sie die vorwurfsvollen Blicke von zehn Augenpaaren wie Nadelstiche in ihrem Rücken. Die Schreckschrauben fühlten sich offensichtlich in ihrerKonzentration gestört. Also seufzte Mara noch einmal hörbar, um zu zeigen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ, klopfte demonstrativ ein paar Steinchen von der Jeans, zog ihr verwaschenes T-Shirt zurecht und kauerte sich dann doch wieder folgsam vor diesen blöden Baum. So wie alle anderen. Oh Mann, wie peinlich!
Larissa hätte sicher gleich mit dem Handy ein Foto gemacht und es hysterisch lachend überall rumgezeigt. Wenn Larissa lachte, drehten sich jedes Mal alle achthundert Schüler der Pestalozzi-Schule im Pausenhof um. Schließlich wollte man sehen, wer diesmal vor ihrem höhnisch ausgestreckten Zeigefinger stand. Mit dem bohrte sie einem einen zweiten Nabel in den Bauch, damit sich die Lache ungehindert im ganzen Körper ausbreiten und einem die Knie in schwabbeligen Bampf verwandeln konnte. Mara zwang sich dazu, das Bild aus ihrem Kopf zu vertreiben, wie sie vor Larissas Finger einknickte und zerlief wie ein Schokoladen-Osterhase auf der Herdplatte. Quatsch!
Sie blickte sich wieder um. Warum hatte Mama sie nur hierhergeschleppt! Und das ausgerechnet am Samstag! Was hätte man bei diesem wunderschönen, sonnigen Wetter doch alles unternehmen können! Zum Beispiel zu Hause bleiben, die Rollläden runterziehen, sich ins Bett legen und unter der Bettdecke Musik hören! Aber nein, Mama musste sie ja mal wieder zu einem dieser sogenannten »Seminare« ihrer Frauengruppe mitschleifen. Und Mara hasste diese Seminare fast so sehr wie …
… da war sie schon wieder: Larissa. Normalerweise ärgerte sich Mara darüber, dass diese blöde Kuh in ihren Gedanken so viel Platz einnahm. Aber im Moment war sie froh, etwas zu haben, worüber sie brüten konnte. Sonst wäre sie wahrscheinlich vor Langeweile gestorben. Sie saß jetzt schon geschlagene vier Stunden vor diesem blöden Baum und seit zwei Stunden tat ihr auch noch der Rücken weh! Damit hatte Mama echt den Bogen überspannt!
Mara war jedes Mal aufs Neue erstaunt, mit was für einem Unsinnman sein Wochenende vergeuden konnte. Das »Erdmutter-Seminar« vor drei Wochen war schon ziemlich dämlich gewesen und Mara erinnerte sich mit Schaudern an die Berge von Rindenmulch aus dem Baumarkt, mit denen sie sich alle gegenseitig zudecken mussten, um »eins zu werden mit dem Mutterboden«. Wenn es so was wie eine Erdmutter wirklich gab, hatte sie sich an diesem Tag sicher großartig amüsiert. Heute jedoch hätte sich die Erdmutter vermutlich einfach nur kopfschüttelnd abgewendet. Denn nichts auf der Welt war so unfassbar hirnrissig wie: eine
Baum-Audienz
!
Nur ein paar Meter von ihr entfernt hielt eine schreckschraubige Dame mit weißem Spitzenkragen, die längst nicht so alt war, wie ihre Klamotten sie aussehen ließen, einen Baum mit beiden Armen umschlungen und die Augen geschlossen. Dabei bewegten sich unentwegt ihre Lippen, und Mara wusste, was diese Frau seit Stunden lautlos vor sich hin brabbelte. Es war der Satz, den die sogenannte Seminarleiterin ihnen allen vor ein paar Stunden vorgesagt hatte und den sie an einen von ihnen ausgewählten Baum richten sollten.
Er lautete:
Willst du mit mir sprechen?
Und sie, Mara, vierzehn Jahre und genervt, saß mitten
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