Marcel Proust fuer Boshafte
Nachrichten aus der großen Welt werden im Nu verschlungen. Die unruhevollen Provinzdamen sind gesättigt. Und für eine Stunde wird in ihren von Genuß und Bewunderung geweiteten Pupillen heitere Zufriedenheit erstrahlen.
FT 61
»Es mag ja sein, daß er in Friesland über ein Inselreich gebietet, aber hier in Paris lebt er im Staub, den er kurzzeitig gegen den Dreck eintauschte, als er diese Straßendirne heiratete.«
NW 325
Zuletzt
»Ich für meine Person muß gestehen, daß mich nichts so amüsiert wie diese kleinen Bosheiten, ohne die ich das Leben einfach öde fände.«
SZ 2, 248
Nachwort
Wer es sich – nicht erst mit dem Erreichen des Pensionsalters – vornimmt, »endlich« Marcel Prousts Zyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zu lesen, muß schon im vorhinein Standfestigkeit beweisen. Denn kaum einem Werk der modernen Literatur schlagen derart hohe Vorurteilswellen entgegen. Prousts Roman, so heißt es dann, sei von ermüdender Langatmigkeit geprägt und behandele permanent »schwere« Themen wie »Zeit«, »Kunst« und »Erinnerung«. Übersehen wird dabei meist, daß die Suche nach der verlorenen Zeit in weiten Teilen ein prallgefüllter Gesellschaftsroman ist, der die Welt des Fin de siècle unter eine ironisch-satirisch getönte Lupe hält und dadurch großartige komische Passagen hervorbringt.
Wenn Proust dazu ansetzt, die aristokratischen oder großbürgerlichen Salons seiner Zeit zu beschreiben, so beleuchtet er deren Riten mit gleichsam soziologischem Interesse. Als »Meister der Konversation« (so der Proust-Experte Luzius Keller) läßt Proust einen Erzähler agieren, der oft aus der Distanz des Beobachters präzise festhält, wie die Protagonisten der Salons (nicht selten aber auch die der Dienstbotensphäre) agieren. Die zahllosen Gespräche, die der Erzähler belauscht und wiedergibt, dienen dazu, die Wortführer zu demaskieren und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich gesellschaftliche Zirkel finden und wieder zerstreuen, zu verdeutlichen. Genüßlich führt Prousts Prosa Szenerien vor, die die Sündenböcke, Adabeis und Möchtegerngrößen des Ge
sellschaftslebens in Aktion zeigen. Wie hier gesprochen, debattiert und geurteilt wird, enthüllt die Leere, die von diesen sich selbst akklamierenden Kreisen ausgeht, und bringt den Erzähler nach und nach dazu, seine Berufung als Schriftsteller zu erkennen.
Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, daß Prousts Werke reich gefüllt sind mit Sätzen, die die Herz- und Geschmacklosigkeiten, die Narzißmen und Dummheiten dessen zeigen, was die geschilderten Soziotope ausmacht. Manche Figuren – wie der Mediziner Cottard zum Beispiel – haben ihre Hauptfunktion darin, sich in zeittypischen Klischees zu ergehen und Dämlichkeit an Dämlichkeit zu reihen. Wenn Proust die unbeschwert vorgetragenen Meinungen seiner Gesellschaftsträger vorführt oder deren Physiognomien en détail nachzeichnet, zeigt er keine Scheu vor boshaften Formulierungen. Da treffen wir unverhofft auf Frauen, deren »Füße wie Schleppkähne« aussehen oder deren Gesichtszüge sich wie gärender Fruchtsaft verändern. Ob es um das Versteckspiel der Homosexuellen, um Eifersuchtsdramen, um die allgegenwärtige Lüge als Fundament der Gesellschaft, um die Häßlichkeit schlechthin oder um die Mißachtung der Kunst geht – wieder und wieder tendiert der Erzähler dazu, seine Beobachtungen in feinziselierte Bonmots münden zu lassen, die Proust als Kenner der französischen Moralistik ausweisen.
Nicht immer tritt die Boshaftigkeit dieser Sentenzen offen zutage. Die Eleganz der Proustschen Formulierungen bringt es mit sich, daß deren Spitzzüngigkeiten erst auf den zweiten Blick ins Auge stechen. Eine lapidare Beobachtung wie »Ein elegantes Milieu ist jenes, in dem die Meinung eines jeden
aus der Meinung der anderen besteht« zeigt, daß Boshaftigkeiten mit dem Florett oft besser als mit dem schweren Säbel zu plazieren sind. Für die vorliegende Sammlung (die Prousts umfangreiche, bislang auf Deutsch kaum übersetzte Korrespondenz nur am Rande berücksichtigt) wurden deshalb auch Zitate aufgenommen, die Boshaftes nur in Spurenelementen erhalten und in erster Linie bittere Lebenswahrheiten mit größter Selbstverständlichkeit verkünden.
Wenn beispielsweise der Herzogin von Guermantes ein »Ausdruck der Ermattung« attestiert wird, »der daher rührte, daß nicht nur diese Matinee, sondern auch das Leben schon geraume Zeit währte«, so steckt in dieser
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