Marillenknoedel und das Geheimnis des Gluecks
immer roter.
»Sinte aus Marokko«, gesteht er schließlich.
»Aber Gianni«, sage ich tadelnd und weiß, dass ich nicht mehr sagen muss. Tante Johannas Marillenknödel gab es immer erst zur Saison, also frühestens im Juni.
»Aber isse Signoras Leibspeiss«, verteidigt er sich.
»Das ist ja lieb, Gianni, aber …«
»Und isse Leibspeiss von den Signore«, sagt er und guckt herausfordernd. »Isse Uberraschung!« Er sieht mich an, als wüsste er, welche besondere Rolle Marillenknödel in Signoras und Signores Liebesgeschichte spielen. Obwohl – möglicherweise weiß er es sogar. Gianni kapiert sehr viel mehr als man denken würde, wenn man ihn so vor sich hin stammeln sieht. Außerdem sind wir nicht besonders gut darin, unsere Gefühle zu überspielen.
Ich seufze. »Na gut, Gianni. Ausnahmsweise.«
»Ausnahmweisse«, wiederholt er und sammelt die Marillen wieder ein. Dann sieht er mich an und schickt mich mit einer Kopfbewegung hinaus. »Icke bringe Kaffee.«
Draußen warte ich, bis mir Gianni eine Tasse Cappuccino bringt. Der Milchschaum ist so dicht, dass er glänzt wie Seide.
»Danke, Gianni«, sage ich.
»Signora«, erwidert er mit ernster Stimme, tippt sich wie ein Marineadjutant an die Stirn und geht. Mann, der ist ja richtig gut drauf heute. Okay. Weiter geht’s.
Nach sechs oder acht Wochen war die Traubenlese fast zu Ende, und es war klar, wir Lesehelfer würden dann wieder nach Hause geschickt werden. Die Zeit wurde also knapp, und ich war in Sachen Schorsch immer noch nicht weiter. In meinen kühnen Träumen malte ich mir zwar allerhand aus, ich rannte mit halb offener Bluse herum, suchte ständig das Gespräch mit ihm, doch Fakt war: Sobald nur mein Blick den seinen traf, sah er sofort in eine andere Richtung. Inzwischen hatte ich sogar das Gefühl, dass sich etwas an seinem Verhalten geändert hatte, dass er mich nicht mehr bloß nicht bemerkte, sondern mich ganz bewusst ignorierte, um mir subtil zu verstehen zu geben, dass er kein Interesse an mir hatte. Doch ich ließ mich davon nicht einschüchtern, oder allenfalls ein ganz kleines bisschen. Dann, eines Tages, spielte mir das Schicksal in die Hände.
Ich weiß noch ganz genau, wie es passierte. Am Vortag hatte uns während der Arbeit ein grausiger Regenschauer überrascht, mit einem Schlag stand der ganze Trupp bis auf die Knochen nass am Hang, alles war kalt und klebrig und triefte. Am nächsten Tag waren alle Lesehelfer krank – alle außer mir. Du weißt ja, dass ich eine Konstitution wie ein Ackergaul habe, das war schon damals so. Ich saß also bei der Frau Pichler in der Küche und half ihr dabei, Hühnerbrühe mit Speckknödeln fürs Sanatorium zu kochen – so nannten wir an dem Tag das Nebengebäude, in dem alles hustete und schnupfte und nieste. Einen Teller voll Suppe sollte natürlich Schorsch bekommen, der im ersten Stock in seinem Schlafzimmer lag. Tja. Ich brachte sie ihm hinauf. Ich schüttelte ihm das Kopfkissen auf, damit er sich aufsetzen konnte, dann gab ich ihm den Teller und den Löffel. Ich setzte mich auf einen Stuhl in einer Ecke des Raums und sah ihm aus sicherer Entfernung zu, wie er aß. Er war anfangs noch verwundert darüber, aber ich glaube, nach ein paar Augenblicken hatte er sich an mich gewöhnt. Als er aufgegessen hatte, stand ich auf, nahm den Teller und stellte ihn auf dem Nachttisch ab. Dann setzte mich zu ihm auf die Bettkante.
Ich sah ihn an, ganz direkt. Ich war so sicher zu ihm zu gehören, ich hatte keine Angst. Und dann passierte etwas: Schorschi sah nicht weg, er konnte nicht, mein Blick schien den seinen gefangen zu halten. Und als ich nichts weiter tat, als dazusitzen und ihn anzusehen und darauf zu warten, dass er das tun würde, was in meinen Augen nur konsequent und absolut richtig war, da richtete er sich auf und küsste mich – auf eine so selbstverständliche Weise, als würden wir nur das ausführen, was im Plan unseres Schicksals längst für uns vorgesehen war.
Diese Taktik habe ich übrigens unsere ganze Ehe lang angewendet. Wenn es einmal Probleme oder Sorgen oder Zweifel gab, habe ich Schorschi stur in die Augen geblickt und keinen Zweifel daran zugelassen, dass wir zusammengehören und dass es an uns nichts zu rütteln gibt. Auch wenn wir nie Kinder bekommen haben, waren wir doch eine Familie.
Womit wir endlich beim Thema wären, Sophie. Weißt Du noch? Du hast mich oft gefragt, was das Geheimnis unserer Ehe ist, unserer Liebe, unseres Glücks. Wie Du dich vielleicht
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