Marina.
Bäume war das Echo der nach Vallvidrera hinauffahrenden Züge zu hören. Bald fanden wir die Gasse wieder, wo wir die Dame aus den Augen verloren hatten, und das hölzerne Tor, hinter dem sich im Hintergrund das Gewächshaus verbarg.
Eine Laubschicht bedeckte das Pflaster. Um uns herum breiteten sich gallertartige Schatten aus, als wir ins Gestrüpp vordrangen. Das Gras pfiff im Wind, und zwischen den Wolken am Himmel lächelte das Gesicht des Mondes. Als es dunkel war, ließ mich der Efeu auf dem Gewächshaus an Schlangenhaare denken. Wir gingen um die Konstruktion herum zur Hintertür. Im Schein eines Streichholzes erblickten wir das vom Moos fleckig gewordene Symbol von Kolwenik und der Velo-Granell. Ich schluckte und schaute Marina an. Ihr Gesicht verströmte einen leichenhaften Glanz.
»Es ist deine Idee gewesen, hierher zurückzukehren …«, sagte sie.
Ich knipste die Taschenlampe an, und ihr rötliches Licht beleuchtete die Schwelle des Gewächshauses. Vor dem Eintreten warf ich einen Blick hinein. Schon bei Tageslicht war mir dieser Ort schauerlich vorgekommen. Jetzt, in der Nacht, wirkte er wie der Schauplatz eines Albtraums. Der Strahl der Lampe enthüllte gewundene Reliefs im Schutt. Ich ging voran, die Lampe geradeaus gerichtet, Marina mir nach. Der feuchte Boden quatschte unter unseren Füßen. Das schaudererregende Sirren der Figuren, wenn sie sich berührten, war bis zu uns zu hören. Ich horchte in die Schatten im Gewächshaus hinein. Einen Moment konnte ich mich nicht erinnern, ob sich die aufgehängten Figuren oben oder unten befunden hatten, als wir hier weggegangen waren. Ich blickte Marina an und sah, dass sie an dasselbe dachte.
»Seit letztem Mal ist jemand hier gewesen …«, sagte sie und deutete auf die auf halber Höhe an der Decke hängenden Silhouetten.
Ein Meer von Füßen baumelte. Im Nackenansatz spürte ich eine Kältewelle, und mir wurde klar, dass jemand gekommen war, um die Figuren herunterzulassen. Ohne noch mehr Zeit zu verlieren, ging ich zum Schreibtisch und reichte Marina die Taschenlampe.
»Was suchen wir denn?«, flüsterte sie.
Ich zeigte auf das Album mit den alten Fotos auf dem Schreibtisch. Ich ergriff es und steckte es in die Umhängetasche auf dem Rücken.
»Dieses Album gehört nicht uns, Óscar, ich weiß nicht, ob …«
Ich überhörte ihren Protest und kniete nieder, um die Schreibtischschubladen zu untersuchen. Die erste enthielt allerhand verrostete Werkzeuge, Messer, Stichel und stumpf gewordene Sägen. Die zweite war leer. Kleine schwarze Spinnen wimmelten darin umher und suchten in den Winkeln Zuflucht. Ich schob die Schublade zu und versuchte mein Glück bei der dritten. Sie war verschlossen.
»Was ist?«, hörte ich Marina voller Ungeduld flüstern.
Ich nahm eines der großen Messer aus der ersten Schublade und versuchte, das Schloss aufzubrechen. Hinter mir hielt Marina die Lampe in die Höhe und beobachtete die tanzenden Schatten, die über die Wände des Gewächshauses huschten.
»Dauert’s noch lange?«
»Ganz ruhig. Eine Minute.«
Ich ertastete mit dem Messer den Beschlag des Schlosses und bohrte rundherum das Holz auf. Es war trocken und morsch und gab meinem Druck problemlos nach. Geräuschvoll splitterte das Holz. Marina kniete neben mir nieder und legte die Lampe auf den Boden.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte sie auf einmal.
»Nichts. Das Holz der Schublade, das nachgibt …«
Sie legte ihre Hand auf meine, um meine Bewegung zu stoppen. Einen Augenblick umgab uns Stille. Ich spürte ihren raschen Puls auf der Hand. Dann vernahm auch ich dieses Geräusch. Das Klappern von Holz in der Höhe. Inmitten dieser in der Dunkelheit verankerten Figuren rührte sich etwas. Ich versuchte krampfhaft, mehr zu sehen, und erblickte gerade noch den Umriss von etwas Armähnlichem, das sich gewunden bewegte. Eine der Figuren kam herunter – so, wie eine Natter durchs Geäst gleitet. Gleichzeitig begannen sich andere Figuren zu regen. Ich umklammerte das Messer und stand zitternd auf. In diesem Moment stieß jemand oder etwas die Lampe zu unseren Füßen weg, so dass sie in einen Winkel rollte und wir in tiefste Dunkelheit gehüllt waren. Da hörten wir das Pfeifen auf uns zukommen.
Ich nahm meine Freundin bei der Hand, und wir rannten auf den Ausgang zu. Hinter uns senkte sich langsam die Figurenmaschinerie herab, Arme und Beine berührten unsere Köpfe und versuchten, sich in unseren Kleidern festzukrallen. Ich spürte metallene
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