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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Marina schöner erschienen als in diesen letzten Tagen in dem alten Haus in Sarriá. Ihr Haar war wieder gewachsen, glänzender als zuvor und mit silberweißen Strähnen. Selbst ihre Augen leuchteten stärker. Ich verließ ihr Zimmer kaum. Ich wollte jede Stunde, jede Minute genießen, die mir bei ihr noch blieb. Oft verbrachten wir Stunden in enger Umarmung, wort- und reglos. Eines Abends, an einem Donnerstag, küsste sie mich auf die Lippen und raunte mir ins Ohr, sie liebe mich und werde mich immer lieben, was auch geschehen möge.
    Am nächsten Morgen starb sie, in der Frühe und in aller Stille, wie Rojas vorhergesagt hatte. Im ersten Tageslicht drückte sie mir kräftig die Hand, lächelte ihrem Vater zu, und die Flamme ihrer Augen verglomm für immer.
     
     
    Im alten Tucker machten wir uns auf die letzte Fahrt mit Marina. Germán fuhr schweigend zum Strand, wie wir es Monate zuvor getan hatten. Der Tag war so strahlend, dass es den Eindruck machte, das von ihr so geliebte Meer habe sich festlich gekleidet, um sie zu empfangen. Wir parkten unter den Bäumen und gingen an den Strand hinunter, um ihre Asche zu verstreuen.
    Vor der Rückkehr gestand mir Germán, der innerlich zerbrochen war, er fühle sich nicht in der Lage, nach Barcelona zu fahren. Wir ließen den Tucker zwischen den Pinien stehen. Einige Fischer, denen wir auf der Landstraße begegneten, erklärten sich bereit, uns zur Bahn zu bringen. Als wir auf dem Francia-Bahnhof ankamen, war es sieben Tage her, seit ich verschwunden war. Mir kam es vor wie sieben Jahre.
    Auf dem Bahnsteig verabschiedete ich mich mit einer Umarmung von Germán. Heute weiß ich nicht, welchen Lauf sein Schicksal genommen hat. Wir wussten beide, dass wir uns nicht wieder würden in die Augen schauen können, ohne Marina darin zu erblicken. Ich sah ihn davongehen, ein Strich, der sich auf der Leinwand verlor. Kurz darauf erkannte mich ein Polizist in Zivil und fragte mich, ob ich Óscar Drai heiße.

Epilog
    D as Barcelona meiner Jugend gibt es nicht mehr. Seine Straßen und sein Licht sind für immer dahin und leben nur noch in der Erinnerung. Fünfzehn Jahre später kam ich in die Stadt zurück und suchte die Schauplätze wieder auf, die ich schon aus meinem Gedächtnis verbannt geglaubt hatte. Ich erfuhr, dass das alte Haus in Sarriá abgerissen worden war. Die Straßen darum herum gehörten jetzt zu einer Schnellstraße, auf der, wie es heißt, der Fortschritt fährt. Der alte Friedhof befindet sich vermutlich noch dort, im Nebel verloren. Ich setzte mich auf der Plaza de Sarriá auf die Bank, die ich so oft mit Marina geteilt hatte. In der Ferne erkannte ich die Umrisse meiner ehemaligen Schule, wagte mich ihr aber nicht zu nähern. Etwas sagte mir, wenn ich es täte, würde sich meine Jugend für immer verflüchtigen. Die Zeit macht uns nicht weiser, nur feiger.
    Jahrelang bin ich geflohen, ohne zu wissen, wovor. Ich dachte, wenn ich weiter liefe als der Horizont, würden die Schatten der Vergangenheit von meinem Weg verschwinden. Ich dachte, mit genügend Abstand würden die Stimmen in meinem Geist für immer verstummen. Schließlich kehrte ich an jenen geheimen Mittelmeerstrand zurück. In der Ferne erhob sich die Einsiedelei Sant Elm, stets wachsam. Ich fand den alten Tucker meines Freundes Germán. Seltsamerweise stand er noch immer dort, an seinem letzten Ziel unter den Pinien.
    Ich stieg zum Strand hinunter und setzte mich in den Sand, wo ich Jahre zuvor Marinas Asche verstreut hatte. Dasselbe Licht wie an jenem Tag erleuchtete den Himmel, und ich spürte ihre intensive Gegenwart. Da wurde mir klar, dass ich nicht weiter fliehen konnte noch wollte. Ich war nach Hause zurückgekehrt.
    In ihren letzten Tagen hatte ich Marina versprochen, wenn sie es nicht mehr könnte, würde ich diese Geschichte zu Ende schreiben. Das Buch mit den weißen Seiten hat mich in diesen ganzen Jahren begleitet. Ihre Worte werden die meinen sein. Ich weiß nicht, ob ich meinem Versprechen gerecht werden kann. Manchmal zweifle ich an meinem Gedächtnis und frage mich, ob ich mich einzig an das werde erinnern können, was nie geschah.
    Marina, du hast alle Antworten mitgenommen.

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