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Marina.

Marina.

Titel: Marina. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Phantasie auf den Siedepunkt brachten. Das war sehr viel anregender als Schach.
    »Wird das deiner Freundin gefallen?«, fragte mich Lulú und fuhr sich mit der Zunge über die leuchtend rot geschminkten Lippen.
    Ich verschwieg ihr, dass Marina nicht meine Freundin im engen Sinn des Wortes war. Es machte mich stolz, dass jemand glauben konnte, sie sei es. Außerdem war die Erfahrung, mit Lulú Frauenunterwäsche zu kaufen, so berauschend, dass ich zu allem nur nickte wie ein Schwachkopf. Als ich es Germán erzählte, lachte er herzlich und gestand mir, auch er finde die Arztgattin höchst gefährlich für die Gesundheit. Das war das erste Mal seit Monaten, dass ich ihn lachen sah.
    An einem Samstagmorgen, als wir uns bereitmachten, um ins Krankenhaus zu gehen, bat mich Germán, in Marinas Zimmer oben ein Fläschchen ihres Lieblingsparfüms zu suchen. Als ich in den Kommodenschubladen wühlte, fand ich ganz hinten in einer von ihnen ein Blatt Papier. Ich faltete es auseinander und erkannte sogleich Marinas Handschrift. Die Rede war von mir. Das Blatt war voller Korrekturen, und ganze Absätze waren durchgestrichen. Überlebt hatten nur die folgenden Zeilen:
     
    Mein Freund Óscar ist einer dieser Prinzen ohne Reich, die umherziehen in der Erwartung, dass man sie küsst, um zur Kröte zu werden. Er versteht alles falsch, und aus diesem Grund mag ich ihn so sehr. Die Leute, die alles recht zu verstehen glauben, machen alles linkisch, und das sagt alles, wenn es von einer Linkshänderin kommt. Er schaut mich an und denkt, ich sehe ihn nicht. Er stellt sich vor, ich verflüchtige mich, wenn er mich berührt, und er verflüchtige sich selbst, wenn er es nicht tut. Er hat mich auf ein so hohes Podest gestellt, dass er nicht herauffindet. Er denkt, meine Lippen seien die Pforte zum Paradies, aber er weiß nicht, dass sie vergiftet sind. Ich bin so feige, dass ich es ihm nicht sage, um ihn nicht zu verlieren. Ich tue so, als sähe ich ihn nicht und würde mich, ja doch, sogleich verflüchtigen …
    Mein Freund Óscar ist einer der Prinzen, die gut daran täten, sich von den Märchen und den sie bewohnenden Prinzessinnen fernzuhalten. Er weiß nicht, dass er der Märchenprinz ist, der Dornröschen aus ihrem ewigen Schlaf wachküssen muss, aber das rührt daher, dass Óscar nicht weiß, dass alle Märchen Lügen sind, auch wenn nicht alle Lügen Märchen sind und nicht alle Mädchen lügen. Die Prinzen sind keine Märchenprinzen, und die Röschen, selbst wenn sie Dornen haben, erwachen nie aus ihrem Schlaf. Er ist der beste Freund, den ich je gehabt habe, und sollte ich eines Tages Merlin begegnen, werde ich mich bei ihm bedanken, dass er ihn mir über den Weg geschickt hat.
     
     
    Ich verwahrte das Blatt wieder und ging zu Germán hinunter. Er hatte sich eine besondere Fliege umgebunden und war aufgeräumter denn je. Er lächelte mir zu, und ich lächelte zurück. An diesem Tag strahlte die Sonne, als wir im Taxi unterwegs waren. Barcelona prangte so in Schönheit, dass Touristen und Wolken verdutzt waren, und auch Letztere blieben an Ort und Stelle stehen, um die Stadt zu betrachten. Nichts von alledem konnte die Unruhe verbannen, die diese Zeilen in meinem Geist ausgelöst hatten. Es war der 1. Mai 1980.

28
    A n diesem Morgen war Marinas Bett leer und unbezogen. Von der Holzkathedrale und ihren Habseligkeiten war nichts mehr zu sehen. Als ich mich umwandte, machte sich Germán bereits eilig auf die Suche nach Dr. Rojas. Ich stürzte ihm nach. Wir fanden ihn in seinem Büro; er sah übernächtigt aus.
    »Ihr Zustand hat sich verschlechtert«, sagte er knapp.
    Am Vorabend, nur zwei Stunden nach unserem Weggang, erklärte er, habe Marina eine Ateminsuffizienz erlitten und ihr Herz vierunddreißig Sekunden lang stillgestanden. Man habe sie reanimiert und jetzt liege sie bewusstlos auf der Intensivstation. Ihr Zustand sei stabil und er, Rojas, zuversichtlich, dass sie in weniger als vierundzwanzig Stunden die Intensivstation wieder verlassen könne, aber er wolle uns keine falschen Hoffnungen machen. Ich sah, dass Marinas Siebensachen, ihr Buch, die Kathedrale und der noch unbenutzte Morgenmantel, auf dem Abstellbord in seinem Büro lagerten.
    »Kann ich meine Tochter sehen?«, fragte Germán.
    Rojas begleitete uns persönlich zur Intensivstation. Marina war in einer monströser und realistischer als alle Erfindungen Michail Kolweniks aussehenden Blase von Schläuchen und stählernen Apparaturen gefangen. Sie lag da wie ein

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