Marissa Blumenthal 01 - Virus
eine Art von Reservoir dafür geben. Stellen Sie sich mal die Reaktion der Medien vor, wenn das Seuchenkontrollzentrum es damals nicht geschafft hätte, die Spur der die Legionärskrankheit auslösenden Bakterien bis in die Klimaanlage zu verfolgen!«
»Nun sind Sie wohl zu streng sich selbst gegenüber!« wandte Ralph ein.
»Aber wir haben keine Vorstellung, ob und wann der Ebola-Virus erneut auftritt. Und leider«, fuhr Marissa fort, »habe ich so ein Gefühl, daß das passiert. Und er ist so unglaublich tödlich…« Zu genau hatte Marissa seine vernichtenden Auswirkungen vor Augen.
»Na ja, die haben das damals in Afrika auch nicht herausbekommen, woher der Ebola-Virus eigentlich kam«, sagte Ralph in einem weiteren Versuch, Marissa zu trösten.
Es beeindruckte Marissa, daß Ralph das wußte, und sie sagte es ihm.
»Das Fernsehen eben«, erklärte er. »Wenn man sich in den letzten Tagen die Spätnachrichten anschaute, konnte man sich durchaus auch auf medizinischem Gebiet weiterbilden.« Er tätschelte Marissas Hand. »Meiner Ansicht nach sollten Sie Ihren Einsatz drüben in Los Angeles deshalb als erfolgreich betrachten, weil es Ihnen gelungen ist, eine Krankheit einzudämmen, die zur Seuche von erschreckenden Ausmaßen hätte werden können.«
Marissa lächelte. Sie spürte, daß es Ralph darum ging, ihr Gefühl in eine positive Richtung zu wenden, und sie war ihm für diese Bemühung dankbar. Daher sagte sie: »Vielen Dank - das stimmt natürlich schon. Die Auswirkungen hätten freilich noch viel schlimmer sein können, und während einer gewissen Zeit mußten wir das auch befürchten. Gott sei Dank hat die Quarantäne dann gewirkt. Und sie wurde schließlich auch in den Medien stärker herausgestellt als etwa die Sterberate von vierundneunzig Prozent bei offenbar nur zwei Überlebenden. Und zu den Opfern muß sozusagen auch die Richter-Klinik gezählt werden. Wegen des Ebola-Virus hat sie heute einen ähnlich schlechten Ruf wie die Badeanstalten von San Francisco wegen AIDS.«
Marissa schaute nach der Wanduhr - es war drei vorbei. »In ein paar Minuten muß ich bei einer Verabredung sein«, sagte sie entschuldigend. »Sie sind wirklich ein Schatz, daß Sie vorbeigekommen sind, und gemeinsames Abendessen heute abend klingt sehr verlockend.«
»Abendessen also abgemacht«, sagte Ralph und nahm das Tablett mit ihren Kaffeetassen.
Marissa rannte die Treppen ins dritte Stockwerk hoch und ging zum Virusforschungsbau hinüber. Bei Tageslicht wirkte er viel weniger bedrohlich, als er ihr bei Nacht erschienen war. Als sie die Richtung zu Dubcheks Büro einschlug, war ihr bewußt, daß gleich um die nächste Ecke die Stahltür war, die ins Hochsicherheitslaboratorium führte. Genau um 15.17 Uhr stand sie Dubcheks Sekretärin gegenüber.
Es war blöd von ihr gewesen, sich so abzuhetzen. Als sie der Sekretärin gegenübersaß und die Virology Times mit ihrer Ausschlagtafel vom »Virus des Monats« durchblätterte, sagte sie sich, daß es ihr hätte klar sein müssen, daß Dubchek sie würde warten lassen. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr: zwanzig vor vier. Hinter seiner Tür konnte sie Dubchek telefonieren hören, und am Aufleuchten der Lämpchen an der kleinen Nebenstellenanlage auf dem Schreibtisch der Sekretärin konnte sie sehen, daß er aufgelegt hatte und noch ein weiteres Gespräch führte. Es war fünf Minuten vor vier, als sich endlich die Tür öffnete und Dubchek sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte.
Der Raum war klein und vollgestopft mit Fotokopien von Zeitschriftenartikeln, die aufgestapelt waren auf dem Schreibtisch, dem Aktenhund und sogar am Boden.
Dubchek war in Hemdsärmeln und hatte seine Krawatte zwischen dem zweiten und dritten Knopf ins Hemd gestopft, um sie aus dem Weg zu haben. Er äußerte keine Entschuldigung oder Begründung dafür, daß er sie hatte warten lassen. Auf seinem Gesicht lag die Andeutung eines Grinsens, worüber sich Marissa außerordentlich ärgerte.
»Ich nehme an, daß Sie meinen Brief erhalten haben?« fragte Marissa und war sorgfältig bemüht um einen streng geschäftlichen Ton.
»Jawohl, ich habe ihn bekommen«, war Dubcheks Antwort.
»Und…?« fragte Marissa nach einer Pause.
»Ein paar wenige Tage Laboratoriumserfahrung reichen für die Tätigkeit im Hochsicherheitslaboratorium nicht aus«, erklärte ihr Dubchek.
»Was also schlagen Sie dann vor?« sagte Marissa.
»Genau das, was Sie im Augenblick machen«, gab Dubchek zur Antwort.
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