Mark Brandis - Raumsonde Epsilon
ungefährlich; man mußte dabei nicht einmal die Fahrt aus dem Schiff nehmen.
Was sollte da schon passieren!
Kapitel 02
Der Laie zittert immer wieder bei der Vorstellung, daß ein Mensch außenbords an einem Schiff arbeitet, das mit einer Maßeinheit, die bereits im Prozentbereich der Lichtgeschwindigkeit liegt – LP 88 (l/2) –, durch den Raum stürmt, mit einer Geschwindigkeit folglich, die ihm das Zurücklegen von 108 Millionen Kilometern gleich 108000 Raummeilen innerhalb von vierundzwanzig Stunden ermöglicht.
Aber Geschwindigkeit wird nur wahrnehmbar, wo sich feste Bezugspunkte bieten. Der leere Raum kennt solche Bezugspunkte nicht. Schiff und Mensch, einmal beschleunigt, bewegen sich mit gleicher Schnelligkeit dahin. Für den Menschen, der außenbords an dem Schiff arbeitet, scheint dies stillzustehen. Anders wird das erst, wenn das Schiff aus irgendeinem Grund den Kurs verändert oder seine Geschwindigkeit herauf- oder herabsetzt: dann endet die Einheit der Bewegung.
An der Tatsache, daß Lieutenant Koskinen die Hermes verließ, um außenbords eine Reparatur an der Antennenanlage vorzunehmen, war daher nichts Aufregendes.
Zwei, drei Minuten, nachdem Lieutenant Koskinen von Bord gegangen war, geriet er in das Gesichtsfeld meines Periskops. Gesichert durch eine Leine, bewegte er sich halb schwimmend, halb hüpfend durch die samtene Schwärze des Raumes. Sein silbrig schimmernder Schutzanzug wurde von einem schrägen Sonnenstrahl erfaßt und leuchtete auf wie eine mittelalterliche Ritterrüstung.
Ich stellte die Verbindung her.
»Können Sie mich hören, Lieutenant?«
»Alles in Ordnung, Sir«, kam die Antwort. »Ich höre Sie gut.«
»Wie beurteilen Sie den Schaden?«
»Fummelarbeit, Sir. Aber ich bekomme es hin.«
»Haben Sie alles, was Sie brauchen?«
»Ich denke ja, Sir.«
»Falls Sie Unterstützung benötigen – Lieutenant Xuma hält sich bereit.«
»Danke, Sir, aber das wird nicht nötig sein. Ich komme zurecht.«
»Ausgezeichnet, Lieutenant.«
Lieutenant Koskinen – es war gut, zu wissen, daß er zur Mannschaft gehörte.
Wie die gesamte Besatzung hatte auch er bereits an der ersten Expedition zum Uranus teilgenommen; sein Können und seine Erfahrungen machten ihn zu einem der fähigsten fliegenden Techniker der VEGA: Usko Koskinen, geboren 14. 3. 2044 in Helsinki, Finnland, Hautfarbe weiß. Ausbildung zum Ingenieur (astron.) in der Technischen Hochschule Berlin und auf der VEGA-Schule für Raumfahrt in Kopenhagen. Spezialisierung auf das Fachgebiet Elektronik; korrespondierendes Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Vereine und Gastdozent an der Universität New York.
Auf dem Gebiet der astronautischen Elektronik war Lieutenant Koskinen eine Kapazität. Wenn er nur Sitzfleisch gehabt hätte, wäre ihm eine blendende Universitätskarriere sicher gewesen.
Ihm ging es wie mir. Der Ruf der Sterne machte ihn taub gegen alles andere. Mit Leib und Seele war er Astronaut. Um diesem Ruf zu folgen, opferte er Karriere, Erfolg, familiäres Glück.
Nicht jeder, der durch die leeren Räume kreuzt, vernimmt den Ruf der Sterne; für nicht wenige bleibt es ein Handwerk: ein Beruf wie jeder andere.
Doch mancher vernimmt die unhörbare Stimme – und fortan ist er auf der Erde nur ein ungeduldiger Gast, der sich nächtens hochträumt in den goldenen Glanz. Dort, in der Unendlichkeit, ist er wirklich er selbst; in der schweigenden Ewigkeit findet er den Sinn seines Lebens.
Sinn des Lebens: für Leute wie Lieutenant Koskinen kann das sein, auf einem fremden, fernen Planeten die ersten menschlichen Spuren in den Staub zu zeichnen – und dabei einen Hauch des ersten Schöpfungstages zu spüren.
Vor dem Cockpitfenster, gebettet auf schwarzen Samt, leuchtete ein Diamant: der Pluto.
Nie zuvor war ihm ein von Menschen gebautes, von Menschen geführtes Schiff so nahe gewesen.
Hier, wo wir uns befanden, endete die Reichweite aller konventionellen Raumschiffe beider Hemisphären, der EAAU und der VOR. Nur die Epsilon-Klasse vermochte weiter vorzustoßen – und dann noch wohlbehalten zur Mutter Erde zurückzukehren.
Lieutenant Koskinen meldete sich: »Sir, die Reparatur wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Es handelt sich, wie gesagt, um Fummelkram. Die Handschuhe sind ziemlich hinderlich.«
»Lassen Sie sich nur Zeit, Lieutenant«, erwiderte ich. »Und gehen Sie kein Risiko ein!«
Von der unbarmherzigen Kälte, die im Raum herrscht, machen sich die wenigsten einen Begriff. Der beheizte Anzug bietet
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