Mark Brandis - Testakte Kolibri
Auch meine Hermes -Besatzung war da; einem nach dem anderen drückte ich im Erinnern an alte Zeiten die Hand. Das Schiff selbst befand sich noch auf der Werft; bis zu seiner Wiederindienststellung sollten noch ein paar Wochen vergehen. Und bis dahin – so meinte Stroganow, mein grauhaariger Navigator – würde das Kolibri -Objekt ja wohl längst der Vergangenheit angehören. Er sagte das leichthin, aber ich spürte dankbar den darin enthaltenen tröstlichen Zuspruch.
Burowski und Laura strahlte das Glück aus den Augen. Von ganzem Herzen wünschte ich ihnen Glück. Sie würden es brauchen. In Espiritu Santu wartete auf Burowski seine Nummer Eins – elegant und heimtückisch. Oder war bis zu seiner Rückkehr unser Auftrag erfüllt?
Burowskis Verleger war ebenfalls erschienen und verteilte an die Hochzeitsgäste handsignierte Freiexemplare der preisgekrönten ‚Astralen Gedichte‘. Ruth bekam noch eines davon, ich nicht.
Im Hotel Europa wurde Champagner gereicht. Ich stieß mit dem Brautpaar an. Wir standen dabei auf der Dachterrasse; unter uns lag Metropolis, diese unvergleichliche Stadt, umkränzt vom weißen Schaum der atlantischen Brandung. Es hatte zu dämmern begonnen; über dem Horizont zeigte sich der erste Stern.
»Darauf, daß eure Wünsche in Erfüllung gehen!«
Als Burowski mit mir anstieß, zerbrach sein Glas. Es war nichts Erstaunliches an diesem Umstand, denn jemand hatte ihn versehentlich angerempelt – dennoch stand Laura plötzlich mit vor Schreck geweiteten Augen in einem kreidebleichen Gesicht da.
Burowski legte einen Arm um ihre Schulter, ließ sich ein anderes Glas geben und stieß noch einmal mit mir an. »Doppelt hält besser!« sagte er dabei.
Das sollte unbeschwert und heiter wirken, aber seine Stimme klang belegt.
Fünf Minuten später war das Brautpaar auf und davon.
Ruth O‘Hara kam auf mich zu. »Mark, mach nicht so ein Gesicht! Es war ein dummer Zufall. Ich hab‘s gesehen.«
»Laura hat sich was dabei gedacht«, sagte ich. »Es wird ihr jetzt keine Ruhe geben.«
»Unsinn. Sieh her! Das hier ist ist mein Glas.«
Ruth wandte sich um und schlug ihr Glas leicht gegen die Säule. Das Glas zersprang in ihrer Hand. Sie lachte.
»Schön«, sagte ich, »du hast recht. Mich brauchst du nicht zu überzeugen. Und jetzt brauchst du ein anderes Glas, denn ich habe keine Lust, mich allein zu betrinken.«
Ruths Blick wurde fragend. »Du hast mit Harris geredet?«
»Ja.«
»Und ihm deine Argumente vorgebracht?«
»Auch das. Aber das Projekt geht trotzdem weiter. Und mich will er nicht gehen lassen.«
»Und du meinst, wenn du dich jetzt betrinkst, wird dir davon wohler?«
Wir gingen, ohne uns zu verabschieden, aber wir fuhren nicht nach Hause, sondern stürzten uns in das Nachtleben der Fünfzigmillionenstadt, in der sich die drei Kontinente gleichsam die Hand reichten. Als wir schließlich unsere eigenen vier Wände aufsuchten, war es spät in der Nacht – zu spät, um sich noch zur Ruhe zu begeben.
Der Registrator leuchtete rot. Das aufgezeichnete Gespräch war von Harris geführt worden. Er ließ mich wissen, daß er aufgrund meiner Ausführungen die betreffenden Regierungsinstanzen zu einem Kompromiß in der Projektfrage genötigt hatte: Einen Monat lang noch sollte ich auf die alte Art und Weise weitermachen; danach danach würde man eine neue Konferenz ansetzen. Harris beendete seine Mitteilung mit den Worten:
»Ich weiß, Ihre Aufgabe ist nicht leicht, und wünsche Ihnen alles, was sich in einem solchen Fall nur wünschen läßt. Viel Glück! Sie und Ihre Männer werden es brauchen.«
Ruth setzte sich zu mir.
»Mark, ich kann dir nicht raten. Es ist dein Beruf, nicht meiner. Alles, was ich sagen kann, ist: Niemand hat dich gezwungen, ihn zu ergreifen.«
»Schon gut«, sagte ich, »wir wollen nicht mehr davon reden.«
Ich trank noch einen Kaffee und ließ dann den Helikopter kommen, der mich zur Rampe hinausbringen sollte, wo meine Diana wartete.
Ruth fiel mir um den Hals. Den ganzen Abend hatte sie sich selbst verleugnet und alle jene Argumente angeführt, die eigentlich ich hätte gebrauchen müssen; nun brach ihre Haltung zusammen.
»Mark, was du da draußen auch tust – versprich mir, daß du nicht zu weit gehst! Riskiere nichts! Denk immer daran: Kein Projekt kann so wichtig sein wie das Leben!«
Meine Diana war startklar. Ich rief den Tower, meldete mich ab und stieg hoch. In einer Höhe von zwanzigtausend Metern ging ich auf Kurs.
Unter den Sternen
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