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Mark Brandis - Testakte Kolibri

Mark Brandis - Testakte Kolibri

Titel: Mark Brandis - Testakte Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
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Kapitän Forester sprach langsam; jeder seiner Sätze war von gnadenloser Nüchternheit: »Ich bitte um Ihr Verständnis, Commander. Es handelt sich hier ganz einwandfrei um einen Akt der Notwehr und der Selbsterhaltung. Dieser Pilot war bereits so gut wie gerettet, als er plötzlich, aus einem mir unerfindlichen Grund, einen meiner Taucher angriff und erheblich verletzte. Anderswo hätte man ihm vielleicht gütlich zureden können – aber nicht 3500 Meter unter dem Meer.«
    Ich schwieg. Es gab über Kolibri Drei nichts mehr zu sagen. Wie hatte es dieser Chirurg doch noch genannt? Koordinierungsschwierigkeiten. Stafford war an seinem zweiten unbekannten Ich zugrunde gegangen.
    »Commander!« Forester drängte. »Sind Sie noch auf Empfang?«
    Ich überwand mich.
    »Ich habe es mitbekommen, Sir«, sagte ich. »Bei Gelegenheit werde ich Ihnen alles erklären. Aber, bitte, behalten Sie diesen Vorfall für sich!«
    Foresters Stimme klang empört.
    »Sir, das ist beim besten Willen nicht möglich. Einer meiner Leute ist verletzt.«
    »Ich verstehe, Kapitän. Andererseits, Stafford konnte nichts dafür – das müssen Sie mir glauben! Einigen wir uns auf eine unverfängliche Version: Er versank mit seinem Schiff. Ich erkläre es Ihnen. Nur nicht jetzt.«
    Forester schnaufte. »Zum Teufel – also gut!«
    »Danke, Kapitän«, sagte ich. »Und jetzt habe ich noch eine Aufgabe für Sie. Meine Nummer Zwei mußte im Pazifik notlanden und wartet sehnsüchtig aufs Abholen –«
    Das Projekt Kolibri hatte sein siebentes Opfer gefordert, aber die Arbeit ging weiter. Vielleicht war das gut so, denn es ersparte mir das Nachdenken über Dinge, die doch nicht mehr zu ändern waren.
    Vidal meldete sich aus elfhundert Metern Tiefe. Er war gut aufgekommen; weder das Schiff noch er hatten Schaden genommen. Ich wechselte ein paar Worte mit ihm, ohne zu erwähnen, was sich zweihundert Meilen westlich von ihm zugetragen hatte.
    Die Bergung verlief ohne Komplikationen. Das U-Boot setzte seine Magnete an und schleppte die Nummer Zwei in den Hafen von Veracruz ein. Gegen Abend, kurz vor dem Dunkelwerden, traf es dort ein, und Henri Vidal ging von Bord – ein wenig seekrank, aber sonst gesund, heil und guter Dinge. Sein rotes Halstuch leuchtete im schrägen Schein der untergehenden Sonne.
    Eine Stunde später übermittelte mir Osburg seinen Befund: Der Meteoritenschlag hatte dem Schiff nur oberflächlichen Schaden zugefügt; das Bremssystem ließ sich an Ort und Stelle so weit in Ordnung bringen, daß sich ein mühsamer Überlandtransport des Schiffes erübrigte. Osburg veranschlagte die Reparaturzeit auf einen halben Tag; danach sollte die Nummer Zwei imstande sein, aus eigener Kraft zur gründlichen Überholung auf das Werftgelände zurückzukehren.
    Es war schon spät in der Nacht, als ich mich an das Stafford-Protokoll setzte.
    Nach einigem Überlegen ergänzte ich es durch einen Zusatz:
    »Obwohl sich das Flottenkommando Pazifik freundlicherweise bereit erklärt hat, ein U-Boot zu unserer ständigen Verfügung zu halten, werden auch in Zukunft zeitliche Verzögerungen bei der Bergung nicht zu vermeiden sein.
    Dafür gibt es zwei Gründe:
    1.
    Das U-Boot muß während des Versuches einen gewissen Sicherheitsabstand einhalten.
    2.
    Die submarine Flugphase eines Kolibri erstreckt sich oft über eine Distanz von hundert Seemeilen.
    Daraus resultiert zwangsläufig, daß zwischen dem Empfang des ersten Notrufes und dem Eintreffen des U-Bootes am Unfallort stets eine Spanne von 15 bis 30 Minuten liegt.«

Kapitel 12
    Als ich an einem kühlen, verregneten Frühlingstag in Metropolis aus dem Dienstwagen kletterte, der mich von der Rampe hinausgebracht hatte zum Direktionstrakt der VEGA, stand die Quecksilbersäule meines Stimmungsthermometers knapp über dem Gefrierpunkt.
    Das Gebäude, das ich betrat, war ein Labyrinth von lautlosen Aufzügen, summenden Laufbändern und endlosen Korridoren, mit weißen Orientierungsschildern an den Wänden und knallroten Alarmsäulen in den Ecken, mit Monitoren, auf denen Zahlen und Bezeichnungen flimmerten, erfüllt von einem ständigen Kommen und Gehen, dem hysterischen Chor einander überschneidender Positionsmeldungen und dem Gekicher ausgesucht hübscher Sekretärinnen.
    Im internen Sprachgebrauch hieß es darum auch ganz einfach das Tollhaus – eine zugleich zutreffende wie auch irreführende Bezeichnung, denn sie unterschlug völlig, daß hinter diesem scheinbaren Chaos ein ausgeklügeltes System

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