Marlene Suson 1
verheiratet zu sein, der sie zutiefst abstieß. Rachel wirbelte herum, und ihr Blick heftete sich auf ihren weißhaarigen On- kel, der zusammengesunken in der äußersten Ecke eines grünen Brokatsofas saß. „Onkel Alfred, du kannst doch nicht im Ernst
wünschen, daß ich Lord Felix heirate. Ich verachte und verab- scheue ihn.‚
Sophia ließ ihren Gatten nicht zu Worte kommen. „Es ist genau das, was er wünscht. Es ist deine Pflicht deiner Familie und auch dir selbst gegenüber, diese brillante Partie zu machen.‚
„Ich habe mit Onkel Alfred gesprochen‚, entgegnete Rachel kühl, ohne den Blick von dem alten Mann zu wenden. „Er ist mein Vormund, nicht du.‚
Bei ihren Worten schien Onkel Alfred sich noch tiefer in die Sofaecke zu drücken. Er wirkte ganz klein und kläglich und mied Rachels Blick. „Sophia weiß es am besten‚, murmelte er unglücklich.
Rachel wußte, daß es sinnlos war, weiter in ihn zu dringen. Er würde es nie wagen, sich den Wünschen seiner streitsüchtigen Frau zu widersetzen.
Doch diesmal würde Sophia ihren Kopf nicht durchsetzen. Un- ter keinen Umständen würde Rachel sich ihrem Willen beugen, um für den Rest ihres Lebens unglücklich zu sein. Sie mußte einen Weg finden, den Heiratsplänen ihrer Tante zuvorzukommen.
„Ich schwöre euch, nie und nimmer werde ich Lord Felix heira- ten‚, erklärte Rachel mit stählerner Stimme. „Niemals! Ihr könnt mich nicht zwingen, das Ehegelübde abzulegen. Lieber würde ich einen Stallknecht heiraten.‚
Damit drehte sie sich so heftig auf dem Absatz um, daß ihre Röcke flogen, und verließ die Bibliothek.
Als Rachel aus der Seitentür trat, wo ihr Pferd bereits gesattelt wartete, warf sie einen Blick hinüber zur Terrasse, auf der gerade Sophia erschien.
Ein kleinwüchsiger, schmächtiger Mann in einem kunstvoll bestickten Leibrock aus roter Seide trippelte geziert auf seinen hochhackigen Schuhen auf Sophia zu. Es war Lord Felix, ausstaf- fiert mit einer gewaltigen weißgepuderten Perücke. Er war mit Brillanten behängt, und wahre Spitzenkaskaden ergossen sich von seinem Hals und seinen Handgelenken.
Angewidert preßte Rachel die Lippen zusammen. „Und wenn sie sich auf den Kopf stellen‚, murmelte sie erbittert. Sollten sie sie doch in den Kerker sperren oder aufs Rad flechten – nicht, daß es dergleichen auf Wingate Hall gab –, aber sie würde diesen Laffen trotzdem nicht heiraten.
Zitternd vor Zorn stieg sie auf ihr Pferd und ritt zum Fluß hinunter. Sie hatte gehört, daß er aufgrund des Dauerregens bis
zum Uferrand gestiegen war, und wollte sich das Naturschauspiel ansehen.
Plötzlich hörte sie hinter sich atemloses Gebell. Sie drehte sich um und entdeckte Maxi, ihren kleinen silberhaarigen Terrier. Er rannte ihr nach, so schnell ihn seine kurzen Beinchen trugen. Ra- chel zügelte ihr Pferd und ließ es in Schritt fallen, bis der kleine Kerl sie eingeholt hatte.
Als sie den Hügelkamm erreichte und den Fluß vor sich lie- gen sah, stockte ihr fast der Atem. Da es eine Woche lang un- unterbrochen gegossen hatte, war der normalerweise harmlose und friedliche Fluß zu einem Wildwasser angeschwollen, dessen schäumende Fluten an den steilen Böschungen nagten und über die Ufer zu treten drohten. Mit sprachlosem Staunen betrachtete sie diesen Ausbruch der Naturgewalten.
Sie war nicht die einzige, die dieses fesselnde Schauspiel be- obachtete. Toby Paxton, ein etwas linkischer Jüngling mit stroh- farbener Mähne, stand mit Fanny Stoddard an der alten Holz- brücke.
Fanny, eine goldblonde mandeläugige Schöne, war mit Ste- phen, Rachels älterem Bruder, dem verschwundenen Earl of Ar- lington, verlobt. Rachels zweiter Bruder George war bei der Ar- mee. Seine Einheit stand jenseits des Ozeans in der Neuen Welt, in den britischen Kolonien.
Rachel saß ab und gesellte sich zu den beiden. Maxi wuselte um ihre Füße, und seine wachen Knopfaugen suchten eifrig die Umgebung nach einem haarigen Beutetier ab, auf das er Jagd machen könnte.
Nach einem Blick in Rachels Gesicht meinte Fanny: „Du siehst aus, als wolltest du jemanden umbringen. Was ist los?‚
„Lord Felix hat um meine Hand angehalten, und Onkel Alfred und Tante Sophia sagen, daß ich den Antrag annehmen muß.‚
„Ja, natürlich mußt du!‚ rief Fanny aufgeregt. „Er ist doch der Sohn eines Marquis.‚ Fannys Worte verrieten klar und deut- lich, worauf sie bei einem potentiellen Ehemann den größten Wert legte.
Obwohl Rachel sich ehrlich
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