Marshall McLuhan
allumfassende Dunkelheit zu bekämpfen.«
»Das war nur ein
Comic
, Mom.«
»Dafür, dass es ›nur ein Comic‹ war, hat es deine Phantasie ganz schön beschäftigt. Ich glaube, du bist neidisch auf mich, Schatz.«
»Was?«
»Du bist neidisch, weil ich jetzt in diesem Comic bin – auf der -anderen Seite des Spiegels – und du nicht. Aber du könntest es sein. Komm mit uns.«
»Mom, hör auf damit. Warum hast du diese Menschen umgebracht?«
»Ich habe sie umgebracht, weil sie berühmt waren.«
»Was?«
»Das Einzige, woran unsere kranke Zivilisation glaubt, ist das Berühmtsein. Es existiert keine andere Art von Unsterblichkeit mehr. Bring die Berühmten um, dann triffst du ins Herz der kranken Zivilisation.«
»Und darum hast du das Nachrichtenteam des dritten Programms umgelegt? Die sind doch selbst hier in der Stadt kaum bekannt.«
»Wenn du ungefähr jetzt die Nachrichten anmachst, wirst du sehen, dass New-Vision-Anhänger überall auf der Welt Menschen von unterschiedlicher Berühmtheit angeschossen oder getötet haben. Die Leute nach Berühmtheitsgrad zu sortieren würde nur bedeuten, diesem Bekenntnis zum Ruhm aufzusitzen. Also haben wir keine Unterschiede gemacht.«
Chloë graute es zunehmend. »Wen wird Dad umbringen?«
»Wie spät ist es?«
Chloë sah auf die Uhr auf ihrem Handydisplay. »Beinahe fünf.«
»Dann hat er ungefähr jetzt …« Chloës Mutter schaute für eine Sekunde an die Decke, und gleich darauf hörte man leises Tack-Tack von der Krankenhausauffahrt kommen. »… ungefähr jetzt hat er die Reporter erschossen, die über meinen Amoklauf berichten.«
»Oh Gott, oh Gott, oh Gott …« Chloë rannte ans Fenster: das Pandämonium. Sie drehte sich zu ihrer Mutter um. »Heilige Scheiße! Bist du noch zu retten?«
»Ist dein Vater tot?«
»Was?« Chloë schaute wieder aus dem Fenster und sah den Körper ihres Vaters auf einem mit Blaugras bewachsenen Bankett liegen. »Ja. Heilige Mutter Gottes. Er ist tot!«
»Gut. Er wird mich auf der anderen Seite erwarten, zusammen mit all denen von uns, die heute ihre Mission erfüllt haben.«
Chloë taumelte nach Atem ringend auf den Flur, aber Polizei und Klinikpersonal schenkten ihr wenig Beachtung, weil sie sich auf die nächste Welle von Verwundeten, Sterbenden und Toten einstellten. Sie rief: »Lieber Gott, es tut mir so Leid!«, und wurde ignoriert.
In dem Fernseher eines Schwesternzimmers liefen die neuesten Nachrichten, und es wurden immer neue Gesichter von ermordeten Celebritys aus aller Welt gezeigt.
Chloë rannte zurück ins Zimmer, wo ihre Mutter übers ganze Gesicht strahlte.
»Mom, du bist verrückt. Eure Sekte ist verrückt.«
»Ich will, dass alle aus deiner Generation kommen und sich mir anschließen, sich zusammenrotten, um die Schaufensterscheiben aller Boutiquen im ganzen Land einzuschlagen, um die Catwalks in Brand zu setzen, Beverly Hills mit Raketen zu beschießen. Es wird schön sein – wie moderneKunst –, und die Leute werden endlich kuriert vom Glauben an die falsche Zukunft, die die Prominenz ihnen vorgaukelt.«
Chloë hätte sich erbrechen können. Mit Leichen beladene Bahren wurden hastig an der Zimmertür vorbeigeschoben, und ihre Mutter redete weiter: »In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs befahl der Tenno den Japanern, sich selbst zu opfern, zu sterben wie zerschlagene Juwelen. Und genauso sage ich zu dir, Chloë, stirb wie ein zerschlagenes Juwel. Zerstöre, damit wir das Neue aufbauen können.«
Draußen war es dunkel geworden – es war nicht die übliche Dunkelheit, sondern eine chemische, die direkt auf das Urböse zurückzugehen schien. Chloë und ihre Mutter ertappten sich dabei, wie sie gleichzeitig hinstarrten. Ihre Mutter sagte: »Ich wünschte, die Apollo-Astronauten wären auf dem Mond umgekommen.«
»Was?«
»Dann wäre er ein einziger großer Grabstein des Planeten Erde.« Ihre Mutter warf sich etwas in den Mund.
»Mom, was war das?«
»Zyanid, Schatz. Ich haue auf deinem Schlachtschiff Yamato ab. Warum kommst du nicht mit?«
Chloë rannte Hilfe holen, doch die gesamte Belegschaft war mit den Verwundeten beschäftigt, also sah sie ihrer Mutter beim Sterben zu, sah, wie sie auf dem Bett zuckte, dann still lag.
Wie vor den Kopf geschlagen wanderte Chloë wieder hinaus auf den Flur. Überall war Blut. Der Boden war damit besudelt, das ganze Gebäude roch nach heißen, feuchten Kupfermünzen. Sie hörte Schüsse aus Richtung der Aufzüge, und Krankenhausangestellte kamen ihr
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