Marter: Thriller (German Edition)
Landsleute die Beamten der Staatspolizei nicht gerade schätzte. Sie waren dem Innenministerium unterstellt, die Carabinieri hingegen dem Verteidigungsministerium, was sie mit einem gewissen Stolz erfüllte. Dennoch wartete sie ab, wie der Colonnello mit der Situation umgehen würde.
Piola sah zu Otalo, und in seinem Blick stand unverhohlene Verachtung. »Solange mein Generale di divisione mir nicht erklärt, dass ich von diesem Fall abgezogen bin, bleibe ich hier«, fauchte er. »Jeder, der mir etwas anderes erzählen will, stört die Ermittlungen und riskiert unter Umständen eine Festnahme.«
Der andere Mann sah ihn nicht minder verächtlich an. »Nun gut, nun gut. Dann behalten Sie Ihre Leiche, wenn sie Ihnen so sehr am Herzen liegt.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich fahre dann mal in mein warmes Büro zurück.«
»Wenn Sie uns helfen wollen, dann borgen Sie uns Ihr Boot«, schlug Piola vor.
»Sie sagen es«, pflichtete der Mann ihm bei. »Wenn ich helfen wollte . Also ciao .« Er salutierte grinsend, als die Barkasse rückwärts hinaus auf den Kanal fuhr.
Gegen drei Uhr früh fing es an zu schneien. Nasse Flocken so groß wie Schmetterlinge, die sofort schmolzen, sobald sie das salzige Wasser berührten. In Kats Haaren verfing sich der Schnee, sodass sie noch mehr fror. Als sie einen Blick auf Piola warf, sah sie, dass sein ganzer Kopf glitzerte, Kopfhaut und Haarstoppeln gleichermaßen, als hätte er sich eine Karnevalsmaske übergezogen. Nur auf dem Leichnam schmolz der Schnee nicht, nach und nach bedeckte er die geöffneten Augen und die Stirn der toten Frau mit einer dicken Schicht.
Erneut durchfuhr Kat ein Schauder. Ihr erster Mordfall, und noch dazu ein ungewöhnlicher. Eine Frau im Priestergewand. Das kam einer Entweihung gleich, direkt hier auf den Stufen zur Kirche Santa Maria della Salute. Man musste nicht unbedingt im eiskalten Wasser stehen, dass es einem ein Frösteln bis tief in die Seele jagte.
2
Die junge Frau, die um kurz vor sieben Uhr früh die Gepäckhalle am Marco-Polo-Flughafen von Venedig verließ, unterschied sich auffallend von den übrigen Passagieren, die an diesem Morgen mit dem Delta-Flug 102 eingetroffen waren. Während die anderen Ankömmlinge Urlaubskleidung oder Businessoutfits trugen, hatte sie einen Armeeanzug an. Seit die Regierung dem Terrorismus den Krieg erklärt hatte, waren sämtliche amerikanischen Militärs dazu angehalten, auf Dienstreisen Uniform zu tragen, um den Mitreisenden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Während die anderen Passagiere zerzaust wirkten, weil sie auf dem Nachtflug vom JFK Airport zu wenig Schlaf bekommen hatten, hatte sie bereits dafür gesorgt, dass ihre blonde Lockenmähne der US -Army-Vorschrift AR 670 entsprach – »Weibliche Angestellte haben dafür Sorge zu tragen, dass ihr Haar ordentlich gekämmt ist und nicht zerzaust, ungepflegt oder auf irgendeine Weise auffällig wirkt. Langes Haar, das über den unteren Rand des Kragens hinausreicht, wird fein säuberlich, aber möglichst unauffällig zusammengefasst oder festgesteckt.« Während die anderen Passagiere Koffer mit ausziehbaren Griffen hinter sich herzogen oder sie auf Gepäckwagen luden, trug sie ihre Tasche auf dem Rücken. Es schien bemerkenswert, dass sie angesichts des vollgestopften, riesigen Marschrucksacks nicht umkippte. Und während die Leute sich um die wartenden Angestellten der Reiseveranstalter scharten oder im dichten Gedränge nach Chauffeuren suchten, die ein Namensschild hochhielten, wandte sie sich nach rechts und marschierte unbeirrt – mit einem zielstrebigen Paradeschritt, der ihr mittlerweile längst nicht mehr bewusst war – am Café und an der Hertz-Autovermietung vorbei auf einen Schalter zu, der etwas versteckt in einem Seitengang lag. Darüber war das Akronym » LNO - SETAF « zu lesen.
Hinter dem Tresen stand ein Mann etwa in ihrem Alter. Er trug ebenfalls eine US -Armeeuniform. Als sie salutierte, erwiderte er ihren Gruß mit einem freundlichen »Willkommen, Second Lieutenant«. Dann drehte er einen elektronischen Kartenleser zu ihr um, damit sie ihre CAC -Kennmarke einstecken konnte. »Sie kommen gerade zur rechten Zeit. Der Shuttlebus fährt um acht Uhr los, und es sieht ganz danach aus, als würden Sie ihn für sich allein haben. Sobald Sie in Ederle angekommen sind, melden Sie sich bitte bei den üblichen Stellen. Ich werde Ihrem Betreuer Bescheid geben, dass Sie auf dem Weg sind.«
Sie bedankte sich mit einem Nicken und machte
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