Martha im Gepaeck
in das Universum seiner Familie zurück.
»Spinnt ihr?«, fragte er.
Bernd blätterte demonstrativ in seinem Reiseführer. »Der Ben Nevis ist der höchste Berg Großbritanniens«, las er vor. » 1344 Meter hoch. Seine Besteigung ist für schlecht ausgerüstete Wanderer nicht ungefährlich. Schon so mancher ist im Nebel abgerutscht und in den Tod gestürzt.«
»Hallo, Bernd«, grüßte Martha freundlich. »Dann sei bloß vorsichtig.«
Bernd brummte einen Gruß zurück.
»Teresa kann sowieso nicht auf den Ben Nevis steigen«, wandte Karen ein. »Sie ist erst sechs.«
»Warum hast du einen Schirm, Tante Martha? Es regnet doch gar nicht«, sagte Teresa.
»Das ist ein Sonnenschirm.« Die alte Dame rutschte erstaunlich behände auf den Sitz und brachte einen Schwall des medizinischen Geruchs aus ihrer Wohnung mit ins Auto.
»Na dann, der Thieme-Clan kann los«, verkündete Karen mit aufgesetzter Heiterkeit. »Auf in die herrlichen Highlands!« Sie lachte überschwänglich und als Einzige.
2 Als sie die Autobahn entlangfuhren, breitete sich Tante Marthas Hustensaftgeruch so penetrant im Auto aus, dass Karen gezwungen war, diskret ein Fenster zu öffnen.
Sofort kroch die Hitze wie eine unsichtbare Qualle ins Innere des Autos. Der Lärm draußen machte jetzt jede Unterhaltung unmöglich, aber das war auch gut so, denn es hatte sowieso niemand Lust auf ein Gespräch. Teresa klebte Glitzeraufkleber in ein kleines Album, Bernd starrte konzentriert auf die Fahrbahn, Mark hatte seine Sneakers weggekickt und die Augen geschlossen. Karen konnte im Rückspiegel einen Blick auf Tante Martha werfen, die kühl und trocken wie ein Ast auf ihrem Platz saß. Trotz ihres Wollrocks. Wieso schwitzte die nicht? Das regte Karen auf. Ehrlich gesagt, machte es sie neidisch. Ihr Make-up hatte sich schon halb aufgelöst, und sie waren noch nicht mal in Belgien. Sie hätte sich doch dieses Puderzeug kaufen sollen, von dem Bettina immer so schwärmte. Zugegeben, deren Haut sah auch noch ziemlich gut aus für eine Frau Mitte vierzig. Was aber wahrscheinlich mehr damit zu tun hatte, dass Bettina alleine wohnte und ihre freie Zeit mit Körperpflege, Sauna, gemütlichen Leseabenden und gelegentlichen Dates mit jüngeren Männern verbringen konnte, während Karen damit beschäftigt war, nach der Arbeit den Hamsterkäfig zu reinigen, mit Mark Englisch zu üben (was jedes Mal zum Streit führte), mit Teresa Barbies Cocktailtasche unter dem Klavier zu suchen, Berge von Wäsche zu waschen (allein Marks Sportklamotten waren ein Ganztagsjob), die Familie einigermaßen gesund zu ernähren und dabei trotzdem Bernds Vorliebe für Wurst und Fleisch zu berücksichtigen und sich in der wenigen Freizeit, die ihr blieb, Häuser in Magazinen anzugucken, die sie sich sowieso nie im Leben würden leisten können. Sie sah kurz in den Außenspiegel und wischte die verschmierte Wimperntusche unter den Augen weg. Wozu eigentlich?, dachte sie dann. Es fiel Bernd sowieso nicht auf. Zu ihrer schicken neuen Haarfarbe hatte er ja auch nichts gesagt. Dabei hatte die ein Vermögen gekostet. Erst nachdem sie ihn direkt darauf hingewiesen hatte. Seinen überraschten Gesichtsausdruck hätte sie glatt fotografieren sollen … Manchmal überlegte Karen, ob es ihm auffallen würde, wenn sie plötzlich rote Haare und blaue Punkte im Gesicht hätte, wie das Sams aus Teresas Lieblingsbuch.
Im Rückspiegel erblickte sie Martha, die friedlich zum Fenster rausguckte. Obwohl Karen vor Bernd getan hatte, als sei das alles kein Problem, verspürte sie jetzt doch einen leichten Anflug von Panik. Keine Sekunde Ruhe würden sie im Urlaub haben. Mit alten Leuten war doch dauernd irgendwas. Sie brauchten Schatten, Mittagsschlaf, ungewürztes Essen und was nicht sonst noch alles. In gewisser Weise hatte sie sich gerade ein drittes Kind aufgehalst. Ein viertes, wenn man Bernd mitzählte, denn um den musste sie sich auch immer irgendwie kümmern. Und wie sollte das überhaupt alles gehen? Konnte Martha wirklich den Tag im Hotel verbringen, während sie alle wanderten? Dem Geruch nach zu urteilen, brauchte sie Medikamente. Vielleicht sogar noch diese entsetzlichen Sanitärprodukte? Hatte sie nicht neulich in Marthas Wohnung so etwas herumliegen sehen?
»Ich muss mal Pipi«, meldete sich Teresa. »Und Mark hat Stinkefüße.«
»Mach den Kopf zu«, brummte Mark.
»So redest du nicht mit deiner Schwester, Mark!«, wies Karen ihn zurecht. »Und zieh deine Schuhe wieder an.«
»Was hat er
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