Martha im Gepaeck
willen die Klimaanlage an«, sagte sie zu Bernd. »Ich beeil mich.«
»Das sagst du jedes Mal. Und dann dauert es doch drei Stunden. Ist bei Frauen immer so, wirst du auch noch merken«, sagte Bernd in Richtung Mark. Der reagierte nicht, sondern wackelte nur rhythmisch mit dem Kopf zu den gedämpften Bässen, die aus seinen Kopfhörern wummerten.
Karen verdrehte die Augen. »Ja, ja.« Warum musste Bernd ständig alle so antreiben? Sie waren doch hier nicht auf seiner Baustelle, wo er irgendwelchen Maurern Beine machen musste.
»Nichts ja, ja. Sie ist verrückt und berechnend, und du lässt dich immer wieder von ihr einwickeln.«
»Was soll ich denn machen? Sie ist die Schwester meiner Oma und meine einzige lebende Verwandte, von meiner abwesenden Mutter mal abgesehen!«
»Ach so? Ich wusste gar nicht, dass hier im Auto drei Leichen mit dir rumfahren.«
»Also, Bernd, nun lass das doch, ich …«
»Sind wir schon da?«, unterbrach sie Teresa.
»Nein, mein Schatz. Mama sagt nur schnell Tante Martha Tschüss. Bin gleich wieder zurück«, erwiderte Karen und betrat das dunkle Mietshaus. Drinnen roch es zwar nach altem Kohl, es war aber angenehm kühl. Einen Moment lang erwog sie, sich kurz auf die unterste Treppenstufe zu legen und ihr Gesicht auf die kalte Steintreppe zu pressen, doch dann siegte die Vernunft, und sie ging in den zweiten Stock hinauf. Sie klingelte und setzte eine feierliche, herzliche Miene auf. Die Tür öffnete sich.
»Na, Tante Martha, wollte nur schnell Tschüss sagen, weil wir doch …« Verwirrt hielt sie inne. Tante Martha hatte einen Regenschirm in der Hand, neben ihr stand ein Köfferchen. Sie trug trotz der Hitze einen rotgrün karierten Wollrock, an dem seitlich ein kleines goldenes Glöckchen baumelte. Aus der Wohnung drang Dudelsackmusik.
Eine dunkle Vorahnung überkam Karen. »… zwei Wochen wegfahren«, beendete sie schließlich ihren Satz.
»Eben.« Tante Martha knickste anmutig und griff nach dem Koffer. »Wir fahren weg, du sagst es.«
»Martha … ich weiß nicht, da hast du irgendwas falsch verstanden. Bernd und ich und die Kinder fahren.« Karen schluckte. »Nicht, dass wir dich nicht gern mitnehmen wollen, aber so was muss geplant werden, und dein Arzt …«
»Mein Arzt ist ein Idiot! Der kann sich nicht mal meinen Namen merken. Und wenn du glaubst, dass ihr mich hier einfach alleine lassen könnt, dann hast du dich geschnitten!«
»Aber, Martha, du hast es doch so gemütlich hier.« Karen deutete vage in Richtung Wohnzimmer, das Martha mit selbstgeknüpften Makramee-Deckchen und kitschigen Landschaftsgemälden dekoriert hatte. Sie stutzte. Auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa lag heute eine karierte Decke, die, wenn sie nicht alles täuschte, aus demselben Stoff hergestellt worden war wie Marthas Rock. Schottenkaros.
»Gemütlich findest du es hier also? Kommst du deshalb nur alle vierzehn Tage vorbei?«
»Aber das stimmt doch gar nicht, ich …« Karen brach irritiert ab. Auf dem Tisch stand eine Flasche Whisky. Halbvoll!
»Du trinkst Whisky?«
»Selbstverständlich. Aber jetzt lass uns endlich mal losfahren.«
»Wohin?«, fragte Karen verwirrt.
»Nach Schottland natürlich!«
»Aber, Martha, was willst du denn dort?«
»Das könnte ich dich genauso gut fragen! Da ist es schön. Und kühl. Und vielleicht habe ich ja dort etwas zu erledigen.«
»Du hast in Schottland etwas zu erledigen?«
»Jawohl. Und es ist wichtig!«
»Wichtig.« Karen schluckte. »Trägst du deshalb einen Schottenrock?«
»Du hast es erfasst.«
»Den tragen doch dort nur Männer, Martha. Das hat dir wahrscheinlich noch nie jemand gesagt. Ich weiß, es ist ein bisschen eigenartig, schließlich heißt es Rock, aber …«
»Ich bin nicht blöd«, unterbrach Martha sie. »Natürlich weiß ich, dass ein Schottenrock für Männer gedacht ist. Aber ich bin zufälligerweise der Meinung, dass ich anziehen kann, was ich will. Bin ja schließlich alt genug.« Sie lachte schallend.
»Alt genug«, wiederholte Karen fassungslos.
Martha nickte. »Im Übrigen wollte ich dich auch gerade fragen, was du dir da für seltsame Hosen angezogen hast. Die tragen unheimlich auf. Und wirken so kindisch. Ehrlich gesagt, siehst du damit aus wie Pinocchio.«
Karen schluckte erneut. Ein Schauder überkam sie. Bernd hatte recht: Martha war verrückt. Sie war eindeutig senil, und Karen ließ sich wie eine Idiotin von ihr herumkommandieren, weil sie nicht nein sagen konnte. Warum musste Karen immer alles
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