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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE GRÄN
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Lügengebäude mit Getöse zusammen und begräbt den Architekten unter sich. Sie trank viel, um ihr Gewissen zu ersäufen. Und fragte Rafael, wie Harry sich denn zu wehren gedenke.
    Er hatte Harry zu einem Anwalt geschickt, den er aus seinem Lokal kannte. Aber der hatte Bedenken über den Erfolg einer Klage geäußert. Urheberrecht, ein schwieriges juristisches Feld, wenig beackert, die Ernte sei ungewiss und würde viel Zeit in Anspruch nehmen – und natürlich Geld. Das war etwas, das Harry nicht hören wollte. Er war ausgeflippt und hatte den Anwalt als »Ferkelstecher« beschimpft, das war das Ende dieser Geschichte.
    Harry habe viele Talente, aber nicht jenes, Unrecht hinzunehmen, sagte Rafael, und dass sein Freund an diesem Anspruch zugrunde gehe. Die Wahrheit, sagte Rafael, sei Harrys unbarmherzige Leidenschaft. Er sprach in schönen Worten mit einem leichten, weichen Akzent, und Anna berauschte sich daran ebenso wie an dem spanischen Wein. Rafael hatte bei einem alten Professor in Krakau Deutsch gelernt, der ihn mit Klassikern gefüttert hatte, das erklärte seine Wortwahl. Er wirkte fast altmodisch, als ob es ihn an einen fremden Ort zu einer falschen Zeit verschlagen habe. Mit einer Prinzessin, der kein Schuh passt. Große Füße, die sie unter den Tisch streckte, während ihre Hände ständig in Bewegung waren: nach dem Glas oder Zigaretten greifend. Die Fingernägel waren tadellos lackiert, immerhin.
    »Und was will Harry jetzt zu tun?«, fragte Anna, und Rafael zuckte mit den Schultern. »Er brütet über Racheplänen. Es ist zu einer Art Besessenheit geworden, und das macht mir Angst. Lily bestärkt ihn noch darin. Seit wir uns kennen, habe ich ihn nie so schlimm erlebt, obwohl er immer etwas hatte, worüber er sich aufregen konnte. Wir drei haben uns einmal zufällig in Kreuzberg getroffen, in einer mongolischen Kneipe. Harry hat das Haus entdeckt, und vor einem Jahr etwa sind wir hier eingezogen. Lily führt auch so eine Art Kreuzzug gegen den Rest der Welt. Weil sie kein Engagement bekommt. Wer mich nicht liebt, ist mein Feind. So ist Lily. Aber ein nettes Mädchen. Nur steht sie manchmal tagelang nicht auf. Sie ist eine Schläferin.«
    Gott sei Dank war Lily nicht zu sehen. Anna ließ sich in Rafaels Bett fallen, nur war von Schlaf keine Rede. Es schien das einzig mögliche Ende dieser Nacht zu sein. Er ließ ihre Hand nicht los, als sie durch die Stadt gingen. Anna hatte Schuhe an, mit denen sie laufen konnte. Sie hätte sich losreißen können. Ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Die Wärme eines anderen gegen die Kälte des Alleinseins austauschen. Sie hatte die Wahl. Leidenschaft gegen Vernunft: Was für eine Wahl ist das? Während sie neben ihm her ging, gestand sie sich ein, dass Sex ihr gefehlt hatte. Man wird ja nicht geschlechtslos mit den Jahren, schämt sich allerdings, es zuzugeben. Und sie wollte ihn. Nur für eine Nacht. Diese glatte Haut, der Vorsprung von einem Vierteljahrhundert, das Kind, das sie nie hatte. All das floss in sie hinein und aus ihr heraus, und für die Ewigkeit von ein paar Sekunden war nichtig, was zwischen ihnen lag, die Jahre und die Lügen.
    War es gut? Sie weiß es nicht mehr. Rafael sagte etwas auf Polnisch, das alles bedeuten konnte, und Anna blieb still. Bis auf einen Schrei. Er hallte durch das große Haus, und Rafael legte ihr seine Hand auf den Mund. Sie roch nach Amber, vor allem daran kann sie sich erinnern. Als es vorüber war, dachte sie, das sie gehen musste, sich im Dunkeln anziehen und davonschleichen. Irgendwo auf der Straße würde sie ein Taxi finden.
    »Ich bin nicht schlicht, ich bin sehr kompliziert«, sagte sie zu dem Mann, der fast sofort eingeschlafen war und leise schnarchte. Es war irgendwie enttäuschend, obwohl sie nichts erwartet hatte. Essen, trinken, reden, Sex – und nun war er vor postkoitalen Komplikationen in den Schlaf geflüchtet. Die Haare verdeckten einen Teil seines Gesichts, und der Mund stand offen. Er umarmte das Kissen wie ein kleiner Junge, mein Gott, was hatte sie getan? Anna fluchte, weil sie in der Dunkelheit ihren zweiten Schuh nicht fand. Er lag unter der Kommode neben dem Bett, und sie konnte es nicht lassen, die oberste Schublade zu öffnen.
    Das Mondlicht, das durch die gardinenlosen Fenster fiel, war nicht sehr erhellend, aber sie sah die Pistole sofort. Sie lag neben den Kondomen und einer Bibel. Anna hatte keine Ahnung, welche Art Waffe es war, sie wirkte schwer und bedrohlich, und sie schob die Lade

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