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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE GRÄN
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Umzugskartons in den Räumen, voll gestopft mit Büchern und Bildern und Krempel, den wegzuwerfen Sibylle nicht fertigbringt. Auspacken will sie ihn aber auch nicht, also bleibt die Wohnung ein Provisorium, ein Umzugsheim, der Schlafplatz, den Sibylle braucht, um ihre Liebhaber zu empfangen.
    Auf dem Bett liegt Joy und schläft. »Sieht sie nicht aus wie ein Engel?«, sagt Sibylle, und Anna beginnt hysterisch zu lachen und hält erst inne, als sie Rafael sieht, der von der Toilette kommt und sagt: »Es ist kein Klopapier da.«
    »Vergesse ich immer. Nimm halt irgendwas.«
    Er verschwindet wieder, nachdem er Anna mit einem anklagenden Blick bedacht hat. Ein gekränkter Knabe, denkt sie, und dass dieser Aspekt der Geschichte inzwischen unerheblich geworden ist. Sie haben nichts gemeinsam außer einer Totschlägerin und einer Zeugin, die von der Polizei gesucht wird. Es wäre komisch, wenn’s nicht so traurig wäre. Trotzdem hat er einen schönen Po. Er verschwindet hinter der Toilettentür.
    »Sie ist doch nicht tot, oder?« Anna beugt sich zu der Schlafenden und spürt ihren Atem.
    »Wie kommst du denn darauf? Sie war bloß so erledigt, dass ich sie erst gefüttert habe und dann noch oben schickte. Ist sie nicht wunderschön? Wenn ich nicht schwanger und aus dem Rennen wäre, könnte ich neidisch werden.«
    »Ich auch, wenn ich nicht andere Sorgen hätte.« Anna lässt sich auf die Couch fallen. »Du musst mir helfen. Ich habe Harry gefunden, in einer defekten Tiefkühltruhe und bereits in Auflösung begriffen. Lily hat ihn erschossen. Sie hat übrigens auch Rosi Stark erschlagen. Sie hat es für Harry getan.«
    Sibylle legt ihre Hand schützend auf den Bauch und sieht Anna an wie damals, als ihre Freundin in die Kneipe stürmte und ihr sagte, dass die Türme in New York eingestürzt seien. »Muss ich das verstehen?«
    »Ja. Hast du ein Bier im Kühlschrank?«
    Sibylle holt eine Bierflasche aus dem Eisschrank, der im Wohnzimmer steht. Sie benutzt die Küche als Abstellkammer für Umzugkartons. »Redest du von der seltsamen Kleinen mit der Glatze? Warum hat sie Harry erschossen?«
    »Weil er sie verlassen wollte. Männer sind so unsensibel. Schließlich hat sie für ihn getötet.«
    Sibylle findet die Geschichte überaus kompliziert. »Und das hat sie dir alles so einfach erzählt?«
    Anna nimmt einen tiefen Schluck. Das Bier schmeckt bitter. »Ja, in der dritten Person. Sie ist ein verwirrtes Kind. Und ich habe keine Ahnung, was ich jetzt mit ihr anfangen soll.«
    Rafael kommt aus der Toilette, und Anna spürt wieder diese Wut, die sie auf irgendjemanden haben muss, der schuld sein könnte. Als er sie auf die Wange küssen will, dreht sie den Kopf weg. Sagt: »Hast du überhaupt nichts mitbekommen? Lily hat Harry erschossen. Mit deiner Pistole. Und dann hat sie ihn in die Kühltruhe gesteckt, wo Harry zu stinken begann. Ist irgendwas mit deiner Nase oder deinen Augen oder Ohren nicht in Ordnung? Wie konntest du das alles geschehen lassen?«
    Rafael verzieht seinen kleinen Mund zu einem Ausdruck des Schmollens, den Anna abscheulich findet. »Ich bin nicht ihr Babysitter, Anna. Ich war mit meinen Angelegenheiten beschäftigt. Mit dir zum Beispiel und mit meinem neuen Job. Und dann ist Joy aufgetaucht. Ich hab Lily kaum gesehen in den letzten Tagen. Sie war in diesem Haus ohnehin wie ein… Schatten. Hinter Gucklöchern. Oh Gott, der arme Harry… und mit meiner Pistole…«
    Selbstsüchtig, denkt Anna. Sie hat sich blenden lassen von seinem Aussehen. Nein, es gibt nichts zu bereuen. Er ist nur eine Fußnote in diesem Stück, der unbeteiligte Zeuge, dem sie niemals Unschuld attestieren würde. »Kann mir denn einer sagen, was ich jetzt tun soll?«
    Die Frage überfordert ihn sichtlich. »Vergiss Harry, du hast ihn nie gesehen. Ich fliege übrigens in zwei Tagen nach Ibiza, wo ich einen neuen Job angenommen habe. Also bin ich aus der Sache raus. Joy will sich absetzen, und du musst ihr dabei helfen. Lily wird schon irgendwie klarkommen.«
    Diese Antwort übersteigt Annas prinzipielles Verständnis für die Feigheit der Männer. Sie steht auf und gibt ihm eine Ohrfeige. Für Lily und alle Frauen dieser Welt.
    »Bravo«, sagt Sibylle.
    »Verrückte Weiber.« Er hält sich seine Wange, die rote Spuren von Annas Hand trägt. »Macht doch euren Dreck alleine. Je eher ich aus dieser Stadt verschwinde, desto besser.«
    Die Weiber sehen tatenlos zu, wie er seine Handtasche nimmt und den Raum verlässt. Sie zucken zusammen, als

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