Marx, my Love
die Frage, und Anna verdächtigt ihn, ihre Worte mit blumigen Komplimenten auszuschmücken, denn es dauert lange, bis er die Antwort übersetzt.
»Joy kennt ihn nicht persönlich, ich meine, sie weiß seinen Namen nicht, sie hat ihn nur einmal in gewisser Entfernung erspäht. Sie sagt, dass er sehr alt und hässlich sei. Marilyn hat ihn gar nicht geliebt, aber schon mit ihm geschlafen, weil er nutzvoll war. Aber mit ihm nach Mexiko fliegen wollte sie nicht. Da flog sie hinunter.«
Fjodor kichert verhalten über seinen kleinen Scherz, und Joy beginnt zu weinen. Sie sieht sehr hübsch dabei aus, und Fjodor tröstet sie mit einem weißen Taschentuch. Anna seufzt: Alt und hässlich trifft auf die Hälfte der männlichen Bevölkerung Berlins zu, das bringt sie nicht weiter. Wenn sie jetzt Polizistin wäre, könnte man ein Phantombild anfertigen oder ihr Fotos zeigen. Denn auch auf Nachfragen fallen Joy weder Haar- noch Augenfarbe ein, sie sagt nur, dass Marilyns Freund »gefährlich« ausgesehen habe. Sie weint, ohne rote Augen zu bekommen.
»Sie ist furchtsam vor diesem Mann«, sagt Fjodor, »und sie will nach Hause zu ihrer Mutter. Aber sie hat keine Penunze, denn die wurde von Marilyn gemanagt, und was in der Wohnung liegt, da kommt sie auch nicht ran, weil sie guten Gewissens davor zurückscheut, die Stätte des Grauens zu besuchen. Es ist eine Tragödie, Anna, und Onkel Wanja ist auch im Exil. Sie benetzt mein einziges Taschentuch, ist sie nicht entzückend?«
»Würde sie den Mann wiedererkennen?« Anna reicht Fjodor eine Packung Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche.
Er übersetzt die Frage. Joy zuckt mit den Achseln. »Sie weiß nicht genau… vielleicht.«
Anna langt nach einem Stapel Zeitschriften, der neben dem Bett auf dem Boden liegt. Sie blättert und findet einen Bildbericht über Rosi Starks Begräbnis. Anna zeigt mit dem Finger auf ein Foto des Witwers: »Kann er es sein?«
Das Mädchen schüttelt den Kopf, studiert die Bilder der Trauergäste und legt die Zeitschrift weg, um eine Träne von der Wange zu tupfen. »Sie hat nichts gefunden«, sagt Fjodor. »Der Meuchelmörder ist nicht zum Begräbnis geschritten.«
»Wär ja auch zu schön gewesen.« Anna ist dankbar, dass Joy nicht mehr weint. »Kann sie nicht Geld von der Bank abheben?«
Fjodor stellt die Frage auf Russisch und übersetzt die Antwort. »Das hat Marilyn gemacht, sie weiß nicht einmal die Kontonummer, das ärmste Wesen. Ist aber auch ein bisschen dumm, muss man sagen. Kannst du nicht in die Wohnung gehen, Anna?«
Sie ist jedermanns Liebling, wenn es darum geht, unangenehme Aufträge zu erfüllen. Anna denkt nach, doch ihr fällt keine Alternative ein. Wenn Joy nach Hause will, braucht sie Geld, und das findet sie nur in der Wohnung. Nicht bei Fjodor oder Anna. Rosi Starks Geld war das letzte, das sie eingenommen hat. Gute Detektive sind immer Verlierer. Tröstet dieser Satz?
»Wir fahren zusammen hin«, sagt Anna. »Ich weiß ja nicht, wo das Geld versteckt ist.«
Fjodor übersetzt, und Joy schüttelt den Kopf.
»Ich passe auf sie auf. Es wird ihr nichts passieren. Sie kann auch noch einen Koffer packen, und dann setze ich sie in den Zug nach Polen. Einen Hausschlüssel hat sie ja wohl?«
Joy zieht triumphierend einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche. Anna späht in die offene Tasche, weil es ja immer noch die Möglichkeit gäbe, dass Joy gelogen hat. Dass sie die Bänder doch nicht weggeworfen hat. Doch sie sieht nichts, was winzigen Kassetten gleichkäme. »Also gut, dann bestell uns ein Taxi. Einer U-Bahn-Fahrt fühle ich mich heute nicht mehr gewachsen.«
Joy redet auf Fjodor ein, der Annas Hand ergreift. »Nicht so schnell mit den alten Pferden. Sie will vorher noch ihre Mutter anrufen und ihr sagen, dass sie kommt.«
»Nur zu, ich benutze inzwischen deine Toilette, wenn ich darf.«
»Ihr Handy ist leer gebrannt.«
Anna steht und blickt auf Fjodor hinab. »Sie ist so allumfassend hilfsbedürftig, dass ich schreien könnte. Also gut: Sie kann in meinem Büro telefonieren, das ist billiger als mein Handy. Aber dann fahren wir. Ich will das jetzt hinter mich bringen. Und außerdem habe ich einen Bullen auf den Fersen.«
»In der Stadt gibt es keine Kühe.« Fjodor kratzt sich am Dreifachkinn, bevor er Joy zuflötet, dass er sie vermissen werde und sie natürlich auch in seiner Kemenate Zuflucht fände. Doch die Schöne will nach Hause. Sie streicht ihm zärtlich über den Kopf und steht dann auf, um Anna zu
Weitere Kostenlose Bücher