Mr Nanny
1. Kapitel
Take-off
Wer die Reichsten der Reichen erleben möchte, wenn sie so richtig in ihrem Element sind, der sollte an einem ganz gewöhnlichen Wochentag um drei Uhr nachmittags die St. Henry’s School for Boys aufsuchen. Nichts macht die High Society verrückter als die Chance, vor ihresgleichen angeben zu können. Und das tägliche Ritual des Ablieferns und Abholens ihrer kleinen Schätzchen ist eine unwiderstehliche Gelegenheit. Da kann man doch mal zeigen, was man hat.Wer man ist. Was der Gatte so pro Jahr »heranschafft«. Diese Leute gehören zu den Top 0,001 Prozent der Top 0,0001 Prozent der Superreichen dieser Welt.
Wo? In Manhattan natürlich.
Eine wahre Kavalkade von Minivans, Jeeps mit getönten Scheiben und chauffierten Limousinen kroch auf dem Weg zur Schule an mir vorbei. Mein Sohn hatte heute Nachmittag ein Basketballspiel, das ich auf keinen Fall versäumen wollte. Obwohl ich dafür schon wieder ein Meeting hatte sausen lassen müssen... Eine von Ginkobäumen und Sandsteinvillen gesäumte Straße führte zum Schulgebäude, auf dessen Vorplatz es bereits von Leuten wimmelte. Ich holte tief Luft und tauchte ein ins Meer der Eltern: Dads in konservativen dunklen Anzügen, die wichtigtuerisch in ihre Handys bellten, und Moms mit schicken Sonnenbrillen und sorgfältig gebräunten und durchtrainierten Oberarmen - nicht wenige mit reizend aufgeputzten Kleinkindern an ihrer Seite. Diese Kinder spielten eine wichtige Rolle im immerwährenden Kampf ihrer Eltern um Vorherrschaft. In Designer-Rüschenkleidern wurden sie vom französischen Privatlehrer zum Cellounterricht gekarrt. Man diskutierte über sie, begutachtete sie wie hochgezüchtete Kälber auf einem exklusiven Rindermarkt.
Ich ging an einer Limousine vorbei, die mit laufendem Motor in zweiter Reihe parkte. Eins der schwarz getönten Seitenfenster war heruntergelassen, und ich konnte den Mann darin erkennen, einen Kosmetikgiganten, der in den Klatschspalten etwas über sich las. Sein vierjähriges Töchterchen sah sich derweil eine Barbie -Fairytopia-DVD im eingebauten Fernseher an, dessen Monitor von der Decke heruntergeklappt war. Die Nanny, in eine gestärkte weiße Kindermädchentracht gehüllt, saß geduldig vorne neben dem Chauffeur und wartete darauf, dass man ihr mitteilte, wann es Zeit wurde, nach drinnen zu gehen, um den Sohnemann abzuholen.
Ein paar Meter weiter streckte sich soeben ein Eidechsenlederschuh mit zwölf Zentimeter hohem Absatz aus der Tür eines silbernen Mercedes S600. Der Chauffeur ließ bei meinem Anblick die Scheinwerfer aufblinken. Als Nächstes tauchte ein knapper brauner Tweedrock auf, der an einem himmlisch geformten Oberschenkel hochgerutscht war, und schließlich erschien eine etwa Dreißigjährige, die ihr honigblondes Haar anmutig ausschüttelte. Der Chauffeur überschlug sich fast vor Eifer, ihr seine hilfreiche Hand zu reichen.
»Jamie! Jamie!«, rief Ingrid Harris und winkte mit ihrer manikürten Hand. Ein Dutzend dicker, goldfunkelnder Armbänder rutschte klirrend an ihrem schlanken Arm hinab.
Ich war förmlich geblendet. »Ingrid, bitte. Ich hab dich von Herzen gern, aber ich muss zu Dylans Spiel!«
»Ich hab versucht, dich zu erreichen!«
Ohne wirkliche Hoffnung auf ein Entkommen tauchte ich in der Menge unter.
»Jamie! Jetzt warte doch mal!« Ingrid hatte es kurzerhand ihrem Chauffeur überlassen, sich mit ihren beiden jüngeren Söhnen zu befassen, deren Geschrei vom Auto bis zu uns drang. Sie schnaufte, als hätten sie die fünf Meter vom Straßenrand bis zu mir völlig erschöpft. »Puh!« Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um eine Menschenrasse handelte, die das ordinäre Pflaster so selten wie möglich betrat. »Gott sei Dank warst du gestern Abend zu Hause!«
»Ach, das war doch nichts. Jederzeit.«
»Henry ist dir ja sooo dankbar!«, sagte Ingrid.
Der bullige Chauffeur hob soeben ihre beiden Knaben heraus, als wären es zwei rohe Eier.
»Henry wollte mit ein paar Kunden zur Jagd nach Argentinien fliegen. Wir hatten den Take-off auf zweiundzwanzig Uhr festgelegt, und er wusste die Temperatur von Puerto Rico nicht! Das muss man doch wissen! Wenn man da zwischenlanden muss!«
»Jamie.« Diese Stimme war mir schon willkommener. Meine Freundin Kathryn Fitzgerald. Sie pendelte zwischen Tribeca und Manhattan hin und her und war so wie ich auch nicht auf der Upper East Side geboren, wo man gar nicht mehr wusste, wie man eine Tür selbst aufmacht. Sie trug Jeans und
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