Masken der Begierde
sich.
„Ich entschuldige mich für diese unangemessene Reaktion auf Ihre Umarmung, Miss Delacroix. Ich dachte, es läge in Eurem Interesse.“
Miss Delacroix keuchte. „Meinem Interesse? Behauptet nur noch, ich hätte mich auf Euch gestürzt!“ Ihre Stimme klang empört.
Als sie das aussprach, musste Lucas erkennen, dass es tatsächlich so gewirkt hatte. Seine Laune sank auf Minusgrade.
„Ist es so? Werte Miss Delacroix, die Erfahrung lehrt, dass Menschen, die dermaßen leidenschaftlich Vorwürfe abstreiten, dies tun, weil im Kern der Verdächtigungen immer Wahrheit steckt.“ Lucas verschränkte die Arme und fühlte sich sofort besser.
Miss Delacroix schnaubte. „Ich weigere mich, auf derartig absurde Anschuldigungen einzugehen. Ich trat in Eure Dienste, um die Gesellschaftsdame Eurer Schwester zu werden. Und ich wäre Euch zutiefst verbunden, wenn wir diese unsinnige Unterhaltung beenden könnten und den Vorfall nie wieder erwähnen.“
Lucas nickte knapp. „Das ist ganz in meinem Sinne. Ich pflege keine amourösen Abenteuer mit meinen Bediensteten.“
Violet schwankte zwischen Empörung und Belustigung.
Was bildete sich dieser Schnösel ein? Vielleicht sollte er sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Er litt eindeutig unter Halluzinationen. Hatte er ihr Missgeschick nicht ausgenutzt? Sie an sich gerissen, um sie zu betatschen und zu küssen?
Natürlich war es sehr unanständig von ihr gewesen, sich nicht sofort zu befreien, doch ihr war seltsam zumute gewesen, schwindlig und heiß, und ihr Verstand hatte mit komplettem Versagen reagiert. Anders konnte sie sich ihr willenloses Tun nicht erklären. Das Brennen hatte sich gesteigert, als der Earl seine Arme fester um sie schloss, und doch war es ihr erschienen, als sei das die einzige Medizin gegen das unbekannte Leiden, das sie erfasst hatte. Mit der Berührung ihrer Lippen wechselte das Gefühl, es verlangte sie nach mehr. Mehr von Lucas St. Clare. Eine Gier, die sie zu überwältigen drohte, wäre ihr nicht aus einem verborgenen Winkel ihres Gehirns die Stimme ihres Vaters ans Ohr gedrungen: „Eine Frau hat sich in allem den Wünschen des Mannes unterzuordnen!“ Im selben Moment hatte der Earl sie besitzergreifend an sich gezogen und damit den Bann gebrochen, der über Violet lag. Der Himmel wusste, wozu Lucas sie getrieben hätte, wäre nicht ihr Verstand zurückgekehrt.
Sie begegnete Lucas St. Clares finsterem Blick mit freundlicher Reserviertheit. Er benahm sich in der Tat, als wäre sie Betseba, die Verführerin. Dabei wirkte er verwegen und düster und so attraktiv, dass Violet sich fragte, ob das nicht seine Masche der Verführung war. Mit dem Anschein des gefährlichen Liebhabers unschuldige Opfer in sein Schlafgemach zu locken und all die Dinge mit ihnen anzustellen, die keine anständige Frau zu tun offen zugab. Ihr wurde bewusst, dass sich einige ihrer Haarsträhnen aus ihrem Dutt gelöst hatten, und sie steckte die Haare fest. Der Earl beobachtete sie kurz, um dann aus dem Fenster hinauszublicken.
„Wenn Ihr einen Blick auf Euer neues Zuhause werfen wollt? Wir haben Halcyon Manor fast erreicht.“ Gelangweilt deutete der Earl auf die Landschaft vor ihnen.
Neugierig beugte Violet sich vor und folgte seiner Handbewegung. Das Gelände, das sich vor ihr erstreckte, war traumhaft. Sie fuhren an einem dunkelblauen, lang gezogenen Gewässer vorbei, rundherum erhoben sich hohe Gipfel, teils schiefergrau, dann wieder braun gefleckt wie die Mischlingskatze ihrer Pensionswirtin und grün wie die Farne im väterlichen Wintergarten. Dazwischen tiefe Täler mit goldgelben Ginsterbüschen, die mit den Sonnenstrahlen um das schönste Gelb konkurrierten. In den Tälern lagen kleine Bauerncottages, manche einzeln, andere in Grüppchen um Dorfkirchen errichtet. Niedrige Steinmauern grenzten die Felder voneinander ab, was einige Schafe nicht davon abhielt, im Nachbarfeld zu wildern. Ein paar Langhorn-Rinder käuten gemächlich das saphirgrüne Weidegras, ohne sich von den dreisten Eindringlingen stören zu lassen.
„Dort hinten ist Kenwick. Von allen Dörfern der Umgebung ist es das nächstgelegene zu Halcyon Manor.“ Lord Pembrokes Kopf war neben Violets am Kutschenfenster. „Seht Ihr? Dort ist es.“ Stolz schwang in seiner Stimme.
Gehorsam betrachtete Violet den Herrensitz, der wie ein müder Riese in der Landschaft zu hocken schien. Das Haupthaus erwies sich als ein rechteckiger Bau mit zahlreichen korinthischen Säulen und
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