Mathias Sandorf
bei der von der Natur so äußerst begünstigten Lage dieses Freihafens am Ende des Adriatischen Meeres nicht anders sein kann! Wie viele von denen, die sich auf den Molen aufgepflanzt haben, wo aus den Schiffen der gewaltigsten Schiffsgesellschaft Europas, des österreichischen Lloyd, Massen von Reichthümern aus allen Theilen der Welt ausgeladen werden, haben nicht gefrühstückt und werden vielleicht nicht zu Mittag speisen! Wie viel Elende schließlich, wie sie sich auch zu Hunderten in London, Liverpool, Marseille, Havre, Antwerpen, Livorno finden, mischen sich unter die behäbigen Rheder in der Nachbarschaft der Arsenale, deren Betreten ihnen verboten ist, zeigen sich auf dem Platze der Börse, die ihnen nie ihre Thore öffnen wird, zu Füßen der Stufen des Tergesteums, woselbst die Bureaux des Lloyd und die Lesezimmer sich befinden, in denen die Gesellschaft in völliger Eintracht mit den Handelskammern ihr Leben fristet!
Unleugbar lebt in allen Hafenstädten der alten und neuen Welt eine ganz besondere Gattung von Unglücklichen, die nur diesen großen Mittelpunkten des Verkehrs eigenthümlich ist. Man weiß nicht, woher diese kommen; man hat keine Ahnung, woher sie der Wind geführt hat. Sie selbst wissen nicht, wo sie enden werden. Die Zahl derjenigen unter ihnen, die einst bessere Tage gesehen haben, ist eine beträchtliche. Es finden sich in ihren Reihen auch viele Ausländer. Die Eisenbahnen und die Handelsschiffe haben sie als überflüssige Ballaststücke zurückgelassen und nun belästigen sie das öffentliche Leben, aus dem die Polizei sie nicht mehr vertreiben kann.
Sarcany und Zirone verließen also den Molo, nachdem sie noch einen letzten Blick auf den Golf bis zum Leuchtthurme hin, der sich auf dem Vorgebirge von Santa Teresa erhebt, geworfen hatten; sie nahmen ihren Weg am Teatro Communale vorüber den Park entlang und gelangten auf die Piazza Grande, wo sie eine Viertelstunde hindurch um das aus Steinen des benachbarten Karstgebirges gebildete Bassin, am Fußende der Statue Karls VI. promenirten.
Beide wendeten sich alsdann nach links. Zirone blickte den Vorübergehenden gerade so ins Gesicht, als empfände er den lebhaften Wunsch, sie auszuplündern. Sie durchschritten darauf das ungeheure Quadrat des Tergesteums genau zu der Zeit, als die Börse zu Ende war.
»Die da ist bald eben so leer, wie die unsrige,« fühlte sich Zirone veranlaßt lachend zu sagen, trotzdem ihn gar keine Lachlust anwandelte.
Der gleichgiltige Sarcany schien auch durchaus nicht die Absicht zu haben, den schlechten Witz seines Gefährten verstehen zu wollen, der seine Glieder mit hungrigem Gähnen streckte.
Dann gingen sie über den dreigespitzten Platz, auf dem sich das bronzene Standbild des Kaisers Leopold I. erhebt. Ein Pfiff Zirone’s – so ein echtes Bummlerpfeifen – veranlaßte ein Volk blauer Tauben in die Luft zu steigen, die unter dem Porticus der alten Börse hausen, gerade wie in Venedig die grauen Tauben zwischen den Procuratien des alten Marcusplatzes nisten. Nicht weit davon streckt sich der Corso aus, der das neue vom alten Triest trennt.
Er bildet eine breite, doch nicht gerade elegante Straße mit wohl ausgestatteten Läden und gleicht mehr der Regent-Street Londons und dem Broadway New-Yorks, als dem Boulevard des Italiens in Paris. Man sieht sehr viele Menschen dort, auch zieht sich eine ganz stattliche Reihe von Wagen von der Piazza Grande bis zur Piazza della Legna, Namen, die den italienischen Ursprung der Stadt genugsam verrathen.
Während Sarcany scheinbar jeder Versuchung sich verschlossen zeigte, konnte Zirone an keinem Laden vorüber, ohne einen begehrlichen Blick auf die Begünstigten zu werfen, welchen es ihre Mittel erlaubten, jene zu betreten. Es gab da viele Dinge, die ihnen gewiß zugesagt hätten, namentlich bei den Händlern mit Lebensmitteln und in den Wirthshäusern, wo das Bier in Strömen fließt, mehr als in jeder anderen Stadt der österreichischen Monarchie.
»Auf diesem Corso werden Durst und Hunger noch fühlbarer,« bemerkte der Sicilianer, dessen Sprache wie ein Geklapper dürren Holzes zwischen seinen ausgetrockneten Lippen klang.
Sarcany beantwortete diesen Einwand nur durch ein Zucken der Achseln.
Sie bogen in die erste Straße auf der linken Seite ein, gelangten an das Ufer des Canals und überschritten diesen auf dem Ponte Rosso – einer Drehbrücke; dann gingen sie die Quais wieder hinauf, an denen selbst Schiffe mit starkem Wassergange anlegen
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