Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
fuhr und es immer weniger Menschen in den Straßen gab, und die, die es gab, betrunken waren oder sonst wie merkwürdig, Zuhälter, Huren und Freier, bleiche Nachtwesen, ein Fixer, der tatsächlich die Fahrt bezahlen konnte, ein reicher Schwuler mit einem blonden Knaben, als kaum Busse fuhren und es gegen Morgen zu regnen begann, da bereute er es, Lily erzählt zu haben, was sie getan hatten und tun würden. Aber dank des Gesprächs begriff er, dass sie nur Mist bauten, es war nichts Halbes und nichts Ganzes. Es fiel ihm jedoch nichts Besseres ein, und er fand sich ab mit der Einsicht, dass es in ihrer Lage keine guten Schachzüge gab, nichts, das eindeutig war. Aber wie sollte es anders sein, wenn man gegen eine Art Privatgeheimdienst und die Bullen gleichzeitig antreten musste?
»Wir dürfen uns mit niemandem von denen treffen«, sagte Matti. Er drückte den Zeigefinger gegen seine Schläfe.
»Aber wir haben die da«, erwiderte Twiggy und deutete auf die Fensterbank.
»Du spinnst«, sagte Matti. »Wir dürfen uns nicht auf eine Ballerei einlassen. So was endet immer böse. Wenn wir sie umlegen, sind wir Mörder, wenn sie uns umlegen, sind wir tot.«
»Wir geben denen einen Zettel. Darin steht, dass es eine Semtex-Bombe war, gezündet mit einem …« – ein Blick zu Twiggy.
»Junghans-Wecker«, sagte der.
»Aha.« Matti schüttelte den Kopf. »Und was sollen die Entenmänner damit anfangen? Den den Bullen geben? Das hilft denen doch nicht. Sie brauchen einen klaren Beweis, dass es ihr Boss nicht war. So einen Zettel könnten die sich doch selbst schreiben.«
»Die nennen zuerst ihren Auftraggeber, dann kriegen sie die Pads und meinetwegen irgendeinen Zettel«, sagte Twiggy. »Mehr haben wir nicht. Wenn es denen nicht reicht …« Er pustete durch die geschlossenen Lippen.
»Dann fühlen die sich verarscht, und wir haben sie garantiert weiter an der Backe.« Matti war hundemüde.
»Glaubst du, die geben irgendwann Ruhe?«, fragte Twiggy.
»Das ist die Frage«, sagte Dornröschen nachdenklich. »Wie werden wir die wieder los? In deren Augen wissen wir zu viel. Und wir wollen noch mehr wissen. Ehrlich, ich habe Schiss.«
So etwas hatte Dornröschen noch nie gesagt.
»Wir müssen Entenmann wegen der Morde rankriegen, dann sind wir ihn los«, sagte Matti. Er war jetzt klar im Kopf, die Angst hatte ihn wach gemacht.
Vom Treppenhaus schallte Geschrei in die Wohnung. Matti hatte gesehen, dass im Stockwerk unter ihnen neue Leute einzogen, wie es aussah, ein Pärchen mit knapp unter zwanzig kreischenden Kindern. Tolle Aussichten allerorten. Als hätte sich alles gegen sie verschworen.
»Wir gründen ein Kommando«, sagte Dornröschen.
»Wie bitte?« Twiggy glotzte sie an, als wäre sie ein Marsweibchen.
»Das Kommando Hermann Meier.«
Twiggy erstarrte. Dann schüttelte er sich. »Und wer ist dieser Hermann Meier?«
»Hast du den Genossen schon vergessen?« Sie tat verzweifelt und lachte, aber in dem Lachen hörte man ihre Angst. »Der ist zweiundsiebzig in Peru verhaftet, gefoltert und ermordet worden.«
»Ach den.«
»Das ist nicht schlecht«, sagte Matti. »Wir dichten dieser Computerklitsche eine böse Geschichte an und begründen so den Anschlag. Die Bullen werden die Erklärung, den Semtex und das Kommando zusammenzählen und einen terroristischen Hintergrund konstruieren, und die Presse wird gern helfen. Wir ziehen das groß auf und beschäftigen sie eine Weile. So gewinnen wir ein bisschen Zeit« – optimistisch klang er aber nicht – »und lassen den Auftraggeber hochgehen …«
»Wegen der Röhren für den Bratwurstautomaten«, warf Twiggy ein.
»Weißt du was Besseres?«, fragte Matti gereizt.
»Wir geraten in einen Bratwurstkrieg, so sieht es aus«, maulte Twiggy.
»Ich habe nichts gegen Bratwürste«, sagte Matti. »Da fällt mir ein, ich war schon lange nicht mehr bei Curry 36 .«
»Hört auf mit dem Scheiß! Wir gründen jetzt das Kommando Hermann Meier. Meier ist ein Genosse, der sich den Tupamaros angeschlossen hatte und vom Klassenfeind ermordet wurde. Er stammte aus Westberlin, hat bei den RZ gearbeitet, aber das wurde ihm bald zu pissig, Spielkram. Klar?«
»Es lebe der Genosse Meier!«, sagte Twiggy.
»Leider ist er tot, aber für uns ist es nützlich«, sagte Dornröschen trocken. »Also, los geht’s.« Sie gähnte, holte ihren Computer und stellte ihn auf den Küchentisch.
»Die MIT Computersysteme haben Software an die kolumbianische Regierung geliefert«, sagte
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