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Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg

Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg

Titel: Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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gegen halb zwei Uhr hatten sie die Kisten durchsucht. Sie hatten jedes Kleid, jedes T-Shirt, jede Dose, jedes Gerät in die Hand genommen. Matti hatte sich die Kopfhörer des MP3-Players in die Ohren gesteckt und kannte nun wirklich jedes Stück von Gene. In die CD Revelations hörte er zweimal hinein.
    When red became blue
Hopes denied
Our dreams swept away with the tide
So get out of the way.
    Twiggy und Matti saßen auf der zweistufigen Eingangstreppe und rauchten, über ihnen unzählige Sterne, von denen der Himmel über Berlin die meisten verschluckt hätte. Der Wind rauschte sanft, ein Rascheln vom Teich her, ein Augenpaar glühte und verschwand, Fledermäuse zischten schemenhaft durch die Nacht. Dornröschen trat in den Garten, in der Hand einen Becher Tee. Sie hatten Rosis Leben durchwühlt, und Matti kam sich mies vor. Sie war noch nicht einmal beerdigt, und ihre Freunde zerfledderten schon die Hinterlassenschaft. Rosi war Döschenfan gewesen, sie waren aus Holz, Blech, Plastik, Korb, Stein und rund, eckig, länglich, flach und hoch, breit und schmal. Nur wenige waren gefüllt. Eine runde mit Knöpfen, eine ellipsenförmige mit Reißzwecken, in einer großen, langen Dose aus Plastik fanden sie Buntstifte. Sonst hatte es Unmengen von Musik-CDs gegeben, ein kleines Vermögen, wenn man die Einkaufspreise schätzte. Aber ihre Quellen dürften günstiger gewesen sein. Viele Bücher hatte Rosi nicht gehabt: Hesses Glasperlenspiel zerlesen, fast schon aufgelöst, Frischs Montauk , Antigentrifizierungsbroschüren, Che Guevaras Bolivianisches Tagebuch , einen Krimi namens Mann ohne Makel , ungelesen, offenbar stinklangweilig.
    »Morgen geht’s weiter«, sagte Dornröschen. Sie verschwand in einem der Zimmer, die Frau Weinert für sie gerichtet hatte.
    In der Restnacht schlief Matti unruhig. Ab und zu knackte das Gebälk in seinem Schlafzimmer unter dem Reetdach. Es erschien ihm ungeheuer laut in der Stille. Es erinnerte ihn an seine Kindheit in einem Odenwalddorf. Seine Ohren fanden die Geräusche des Gartens. Es knackte, ein entferntes Heulen, es schnatterte, klapperte, jeder Laut deutlich und ein Ereignis. Etwas prustete. Matti stand auf und blickte hinaus. Drei Hirsche, einer mit mächtigem Geweih, plünderten die Beete am Haus. Er vermied jedes Geräusch und jede Bewegung. Der große Hirsch äugte umher, nahm den Menschen aber nicht wahr und äste weiter. Es erschien Matti selbstverständlich, dass Laras Bild in seinem Hirn aufschien und er sich vorstellte, sie wäre bei ihm.
    Er legte sich wieder hin. Sein Leben war aus den Fugen geraten, längst. Seine Träume waren verschwunden wie Tintentropfen im Meer. Und es war nichts an ihre Stelle getreten. Er lebte vor sich hin, klammerte sich an die alten Zeiten, die ihm Halt gaben. Statt der Gewissheit folgte er der Erinnerung an die Gewissheit, schöpfte sein Selbstbewusstsein immer noch daraus, es einmal besser gewusst zu haben, obwohl es falsch gewesen war. Das Einzige, was übrig blieb, war die Solidarität, befreit jedoch von dem Ziel, das sie geeint hatte. Er wusste ziemlich genau, was er nicht wollte, aber das war schon alles. Es fehlte der Sinn. Die Suche nach Rosis und Laras Mörder gab ihm einen Teilzeitsinn, was würde danach kommen? Taxi fahren, freitags Mau-Mau spielen, keine Demo auslassen, Veranstaltungen besuchen, debattieren. Bis zum Lebensende. Halt gab ihm die WG, umso quälender die Angst, dass Dornröschen ausziehen würde. Er konnte es sich nicht vorstellen. Danach wartete die Leere. Er mochte Twiggy, aber ohne Dornröschen konnte es die WG nicht geben. Für Twiggy auch nicht. Aber konnte Dornröschen überhaupt leben ohne ihre WG? Undenkbar, aber manchmal trat das Undenkbare ein.
    Am Morgen war er gerädert, und als er die anderen sah, wusste er, es ging ihnen wie ihm. Ihnen fehlte die Stadt, die Stille war fremd, ohne das Rauschen der Stadt fühlten sie sich wie auf einem anderen Planeten.
    Frau Weinert hatte in der Essecke im Wohnzimmer reich gedeckt. Twiggy saß als Erster. Als die anderen am Tisch waren und auch Frau Weinert Platz genommen hatte, sagte er: »Ohne Robbi kann ich nicht schlafen. Der arme Kerl.«
    Sie hatten Robbi ein paar Tonnen Trockenfutter und geschätzte siebenundzwanzig Wasserschälchen hinterlassen, falls er sechsundzwanzig umkippen sollte. Er hatte noch nie ein Schälchen umgekippt.
    »Der wird uns ganz schön böse sein«, stöhnte Twiggy.
    »Du kannst die Trennungskrise heute Abend gemeinsam mit ihm aufarbeiten und

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