Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg
Geschwindigkeit.
»Ja, die werfen die Menschen weg. Ich kann die jungen Leute verstehen, die die Schnauze vollhaben. Es wird ja wieder über Revolution geredet.«
»Die Welt geht in die Brüche«, sagte Matti, »jedenfalls unsere.«
»Da passieren Dinge, die man vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte. Ich sage nur Bankenkrise, Staatspleite und die Lachnummer mit der Atomkraft. Dass die Schwarzgelben aus der Atomkraft aussteigen, weil in Japan ein Erdbeben war. Lächerlich. Ein Vorwand, Rosstäuscherei. Manchmal denke ich, besser falsche Überzeugungen als gar keine. Dieses Pack« – er zeigte in Richtung Reichstag – »hat nur noch eine Überzeugung: an der Macht bleiben. So war es bei uns auch am Ende. Macht als Selbstzweck.«
»Aber wer soll die Revolution machen?«, fragte Matti.
»Die Betrogenen, die Unzufriedenen«, sagte der Mann.
»Aber wenn die Betrogenen und Unzufriedenen die Macht stürzen, was für eine Macht errichten sie?«
Der kleine Mann überlegte. »Diese Fragen sind Ihnen nicht unbekannt«, sagte er.
»Nein, aber ich glaube, dass die Revolution abgesagt wurde, und jetzt bleibt nur der Zerfall. Die Barbarei.«
»Ah, Sie haben Marx gelesen.«
Sie schwiegen. Auf der Gegenfahrbahn rollte eine Kolonne von Polizeibussen und -autos in Richtung Stadtmitte.
In der Dusekestraße standen vierstöckige Mietshäuser, dazwischen ein paar Gewerbebetriebe. Manche Fassaden stammten noch aus DDR -Zeiten, ein Haus war eingerüstet. Davor hielt Matti auf einen Fingerzeig seines Fahrgasts. Er ließ den Finger nicht sinken, sondern sagte: »Sie sind noch jung, Sie können was tun. Wir haben es vermurkst …« Er ließ den Finger und die Schultern hängen, stieg aus, winkte kurz und ging die Straße hoch.
Wo will er hin?, fragte sich Matti. Er hatte ein blödes Gefühl. Aber doch bestimmt wegen des Zettels in seiner Tasche und der Drohung des Puffchefs.
Es gab Ecken in Berlin, die die WG-Freunde nie freiwillig betreten würden. Dazu zählten neben der Oranienstraße die Falckenstein- zwischen der Wrangel- und der Schlesischen Straße. Die Bergmannstraße war auf dem besten Weg, in die Liste der verbotenen Zonen aufgenommen zu werden. Als sie auf der Oberbaumbrücke die Spree gequert hatten, steuerte Matti das Taxi parallel zur Simon-Dach-Straße, der übelsten Touristenabfüllstation Friedrichshains. Die Dolziger Straße lag im Samariterviertel. Sie mussten die Frankfurter Allee nur ein kleines Stück stadtauswärts fahren. Kurz vor dem Naziparadies Lichtenberg bog Matti in die Samariterstraße ein, um nach ein paar Querstraßen schließlich rechts abzubiegen. Das Mietshaus lag neben einem Alteisenhändler, auf dessen Hof ein Schrottcontainer stand.
Arnulf Petersen öffnete die Wohnungstür und prallte zurück.
»Wir sind Freunde von Rosi«, sagte Dornröschen sanft. »Ich bin Dornröschen.«
Petersens Miene hellte sich auf. Er musterte Matti und Twiggy. »Aha. Und was wollt ihr?« Seine Stimme dröhnte.
»Ich habe versucht, dich telefonisch zu erreichen, aber ich habe deine Nummer nicht gefunden. Habe nur die Adresse, die hat mir der Boss von der Tanzmarie gegeben.«
»Hast du dem ’ne Knarre an den Kopf gehalten?« Petersen lachte. Er hatte ein ehrliches Lachen in einem viereckigen Gesicht.
Matti lachte mit. »So ähnlich« – er winkte ab –, »nee, du hast was in meinem Taxi vergessen.«
»Oh, ich bin schon so reich, dass ich mir ein Taxi leisten kann. Wusste ich gar nicht. Das kostet dich eine Freifahrt.« Er winkte sie hinein und führte sie in die Küche, deren Mobiliar vom Sperrmüll stammte. Aber es lag kein Stäubchen darauf, und der Linoleumboden glänzte vor Sauberkeit. Petersen holte eine Flasche Sprudel aus dem Steinzeitkühlschrank und stellte sie auf den Tisch. Aus dem Küchenschrank neben der Tür nahm er Gläser. An der Wand hing ein Plakat, das grob gerastert vermummte Gestalten zeigte, einer hatte einen Molli in der Hand.
»Du hast Rosi Infos gegeben über die Kolding-Leute, den Baustadtrat und den Fritzen von der Bauaufsicht«, sagte Matti.
In Petersens Gesicht spiegelten sich Angst und Wut. »Ihr meint, sie ist deswegen umgebracht worden?«
»Keine Ahnung«, sagte Dornröschen.
»Wenigstens ehrlich«, erwiderte Petersen. Er überlegte und sagte: »Wenn ich gewusst …«
»Wie kamst du auf Rosi?«
»Ganz einfach. Wir waren an der Uni zusammen im Fachschaftsrat. Sie ist … war echt ’ne gute Genossin.«
Eine Weile sagte niemand was.
»Ich fühle mich
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