Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg
Urbanstraße/Gräfestraße. Und eines Tages haben sie das Geschäft aufgegeben. In der Zeitung hat der Chef erklärt, Schuld sei Kolding, weil wir die Gewerbemieten erhöhten. Dass Läden und Kneipen schließen müssten und nur noch Touristenlöcher – ich weiß gar nicht, wo er dieses Wort herhat, ein Türke – überleben könnten. Und Restaurants für die Reichen.«
»Der wird sich aufgeregt haben, zu Recht, wie ich finde«, sagte Dornröschen. »Aber dann hat er sich wieder abgeregt.«
»So, Sie sprechen vom heißblütigen Südländer«, sagte der Chef. Seine Stimme hatte einen ironischen Unterton.
Eine rosa Wolke überzog Dornröschens Gesicht und verschwand. »Nein, ich rege mich auch auf und wieder ab«, sagte sie. »Inzwischen wird er sich abgefunden haben, sofern man sich damit abfinden kann, vertrieben zu werden.«
»Wir vertreiben niemanden«, sagte der Chef. »Wir halten uns an die Gesetze …«
»Des Kapitalismus«, warf Twiggy ein.
»Ja, an was denn sonst? An die Gesetze des Rechts und an die Gesetze der Ökonomie. Täten wir es nicht, gingen wir unter.« Der Chef schüttelte den Kopf.
»Und wenn diese Gesetze es Ihnen erlauben, die Mieten hochzutreiben, dann tun Sie es«, sagte Matti.
Der Chef schüttelte wieder den Kopf. »Gucken Sie sich diese Häuser, die wir kaufen, doch mal an. Verrottete Treppenhäuser, alles vollgeschmiert, die Badezimmer verschimmelt, die Küchen verdreckt, verklebt, seit Jahrzehnten nicht renoviert, die Mieter beachten ihre Renovierungspflicht ja grundsätzlich nicht, die Hausbesitzer überfordert, ewig auf der Jagd nach Mietrückständen, keine Reserven für größere Reparaturen …«
»Mir kommen die Tränen«, sagte Matti. »Und dann erscheint Kolding als Erretter aus dem Elend. Mit dem kleinen Nachteil, dass die Mieter aus den schimmeligen Badezimmern und verklebten Küchen in Dreckslöcher am Stadtrand ziehen müssen, in die Massensilos von Marzahn oder die Betonbunker in Neukölln.«
Der Chef stöhnte leise. »Ja, sollen wir das alles renovieren und unsere Investitionen nicht zurückholen? Das ist doch weltfremd.«
»Selbst wenn es weltfremd wäre, die Welt ist menschenfremd, das ist noch übler. Dann muss man die Gesetze Ihrer Wirtschaft eben ändern. Wenn die dazu führen, dass Leute verdrängt werden, können sie nicht richtig sein.«
»Aha«, sagte der Chef. In seinem Gesicht konnte man lesen, dass er lieber mit Zeugen Jehovas über die Existenz Gottes diskutiert hätte als mit diesen drei Naivlingen über die Gesetze der Wirtschaft.
»Es würde doch genügen, die Heizungen zu renovieren und vielleicht die Fenster, um den Schimmel zu vertreiben, nicht die Mieter«, sagte Matti. »Aber dabei würden Sie nichts verdienen. Sie machen Kohle, wenn Sie die Wohnungen aufwerten, wie es so harmlos heißt, und dann an Reiche vermieten oder verkaufen.«
»Wir leben in einem Wirtschaftssystem, in dem das so funktioniert, und alle profitieren davon …«
»Außer den Mietern, die aus ihren Wohnungen fliegen«, sagte Twiggy.
Dornröschen beobachtete den Chef, die ganze Zeit schon.
Matti fragte sich, was der wusste vom Mord und den Mördern. Ob er selbst die Finger drin hatte. Eigentlich war der Typ die Idealbesetzung: intelligent, freundlich, abgebrüht, aber mit dem Talent, diese Seite zu verbergen. Er konnte Gefühle zeigen, die er womöglich nur aus dem Kino kannte, und souverän war er auch, geradezu beeindruckend. Den würden sie so nicht weich kochen.
»Wir drehen uns im Kreis«, sagte der Chef. »Ich werde Sie nicht überzeugen und Sie mich nicht. Ich respektiere Ihre Meinung, ich hoffe, Sie respektieren auch meine.«
»Das tun wir nicht«, sagte Dornröschen.
Der Chef blickte sie traurig an. »Das muss ich hinnehmen.«
Matti fragte sich, was sie eigentlich noch erreichen konnten. Warum diskutierten sie mit dem Mann? Er würde es nie zugeben, wenn er was mit dem Mord zu tun hatte. Und Matti war längst überzeugt, dass Mord nicht zu den Mitteln zählte, die der Chef verwendete.
»Wenn Herr Runde der Mörder oder Auftraggeber sein sollte, allein dürfte er es nicht getan haben. Wer ist sein … Kumpel in der Firma?«, fragte Dornröschen.
Der Chef stöhnte wieder. Aber er spielte mit offenen Karten, hatte nichts zu verbergen. »Herr Runde geht vielleicht in … Bordelle, aber er ist kein Mörder. Und für Auftragsmord wäre er viel zu ängstlich. Das ist ein Mensch, der ohne Weisungen nicht leben kann. Wenn man ihm eine gibt, funktioniert er.« Der
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