Mattuschkes Versuchung
Streife gehört.
Als Mann war er eigentlich nicht ihr Fall, aber an einem dieser unerträglichen Streit- und Schweigetage zu Hause, traf sie ihn abends allein an der Bar des Silverspot und spürte im Gespräch Seelenverwandtschaft, eine Lebenstraurigkeit zwischen ihnen, die auf seltsame Weise verband. Als er fragte, was sie bedrücke, erzählte sie ihm von der familiären Situation, den ständigen Auseinandersetzungen und finanziellen Problemen. »Kind wir müssen sparen, du musst lernen, kleinere Brötchen zu backen, sind Mutters tägliche Gebete, ich kann es zwar einsehen, aber beim besten Willen nicht mehr hören, verstehst du das?« Rick grinste und schwieg; zwangsläufig war er ein guter Zuhörer. Sie hatte das Gefühl, absolut verstanden zu werden, verstanden von jemandem, der Ähnliches erlebt haben musste, der wusste, von welchen Gefühlen sie sprach.
In der Tat hatte Rick ähnliche Erfahrungen und fühlte sich an diesem Abend ermutigt, über seine Probleme, die völlige Trennung von den Eltern, die er wohl bedauerte, aber nicht den Mut aufbrachte, den ersten Schritt zur Versöhnung zu gehen, den Frust bei der Arbeit, die ihn nicht befriedigte und die Minderwertigkeitsgefühle zu sprechen, die er mit spendierten Runden und schnellen Autos zu kompensieren versuchte. Seit dem fürchterlichen Tod seines Bruders, der bei einem Brand ums Leben kam, verbitterten die Eltern zusehends und verfielen zu lebenden Friedhöfen, zu denen er keinen Zugang fand. Warum er dies, worüber er sonst nie sprach, ausgerechnet Louise anvertraute, die er eher flüchtig kannte, war ihm selbst ein Rätsel. Lag es an der melancholischen Stimmung des Abends, oder hatte sie einen bestimmten Nerv bei ihm getroffen? Sie spürte Wärme für ihn, schicksalhafte Nähe und das Bedürfnis, sich anzulehnen, was nach drei spendierten Mai-Thai mit großzügig injiziertem Rum, die sie entgegen ihrer Gewohnheit getrunken hatte, nicht verwunderlich war. Innere Schwerelosigkeit ließ sie Rick tief in die dunklen Augen sehen und Halt finden. Als er ihr anbot, die Nacht bei ihm zu verbringen, sagte sie zu und fuhr mit ihm nach Hause.
Seine Bude war ein armseliges Loch, im Keller eines uralten Hauses, dessen Fenster man nur mit ausgestreckten Armen erreichen konnte und so bescheidenes Licht in beide Räume ließen, dass auch am Tag die Deckenlampe brennen musste. Die Toilette befand sich außerhalb auf dem Flur, Gelegenheit zur Katzenwäsche gab es nur in der winzigen Küche mit emailliertem Waschbecken und Elektroboiler, der je nach Laune warmes oder kaltes Wasser spendete. Das Bett, noch ungemacht, roch nach schwitzigen Füßen, aber heute störte es sie nicht, ihr war nach Wärme zumute und keinesfalls nach dem eigenen Zuhause. Sie sträubte sich nicht gegen seinen Wunsch, mit ihr zu schlafen, er war zärtlich und warm, sie fühlte sich wohl in seinen Armen. Obwohl es nicht zutraf, vermittelte sie ihm das Gefühl, sie glücklich gemacht zu haben.
Als sie am Morgen erwachte, ließ sie der ungewohnte Anblick unzähliger, eilig an den Fenstern vorbeihuschender Beine und Füße laut auflachen. Rick brachte schon das Frühstück ans Bett; sie wunderte sich, wie schnell er Eier und Kaffee gekocht, Brote mit Wurst und Marmelade vorbereitet hatte und sie mit einem Glas Sekt-Orange überraschte, für das er gerade einen Piccolo öffnete. Offensichtlich hatte er Routine in der Bewirtung weiblicher Übernachtungsgäste. Es war ihr unangenehm, nur knapp bekleidet, die Flur-Toilette aufzusuchen, zumal sie von einem ungepflegten Typen, Marke Penner, verlassen wurde, der sie lüstern anstarrte, aber es gab keine Alternative und Einhalten war bei dem dringenden Bedürfnis nicht angeraten.
Sie hatte es eilig, ausgerechnet heute war eine Klausur fällig, und sie wusste nicht, wie die Busse von hier aus fuhren. Rick war fürsorglich, offensichtlich konnten ihre Reize ihn letzte Nacht überzeugen, sprach für seine Verhältnisse mit zwei Sätzen mächtig viel und bot an, sie zur Uni zu fahren, damit sie sich mit dem Frühstück nicht beeilen müsse. Sie lächelte ihn dankbar an. Jetzt, wo sein verschlossener und zuweilen mürrischer Gesichtsausdruck einer entspannten Fröhlichkeit gewichen war, erschien er ihr durchaus gut aussehend und das trotz unrasiertem Bart und lustig in die Höhe stehender Haare.
»Wie findest du meine Freunde so?«, fragte er kauend. »Nett und immer guter Laune«, antwortete sie, »Leila ist lustig, scheint mir aber etwas naiv zu sein,
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