Mythor - 087 - Der Hexenhain
PROLOG
»Burra!«
Ich zucke zusammen, schrecke wie aus einem Traum hoch.
»Ja, ehrenwerte Mutter?«
Die Zaubermutter Zaem ist unvermittelt in meiner Kemenate aufgetaucht, anstatt, wie sonst, mich von einem der Aasenmädchen zu sich holen zu lassen.
Ihre dunklen Augen sind geradewegs auf mich gerichtet, ihr stechender Blick scheint mich zu durchbohren. Die Farben des Regenbogens, die sie an ihrem Mantel und am Barett trägt, scheinen sich zu einem Wirbel zu vermischen.
»Was für seltsamen Gedanken magst du wohl nachhängen, Burra«, sagt sie nachdenklich.
Entsetzen beschleicht mich, weil ich weiß, daß sie mich jederzeit dazu bringen könnte, ihr meine geheimsten Gedanken mitzuteilen. Und das wäre mein Ende.
»Ich stehe zu deiner Verfügung, meine Mutter!«
Ich straffe mich und lege Hand an meine Schwertgriffe.
Aber Zaem winkt ab.
»Es ist noch nicht soweit. Es haben sich Schwierigkeiten ergeben. Ich will das mit dir bereden. Und auch noch einiges andere. Nimm Platz.«
Ich sinke auf mein Lager zurück, sie selbst bleibt stehen und verschränkt die Arme vor der flachen Brust. Sie sieht auf mich herab, nachdenklich und forschend zugleich.
Ich habe fast das Gefühl, als wolle sie mein Innerstes erforschen. Wenn sie wüßte… Nicht daran denken!
»Es behagt dir hier nicht«, sagt die Zaem.
»Ich habe nichts zu tun«, erwidere ich. »Seit wir in deinen Frostpalast gekommen sind, schon drei volle Wochen lang, bin ich zum Nichtstun verurteilt.«
Wir sind Ende Seelenmond, dem Mond der wankelmütigen Zedra, vom Nassen Grab aufgebrochen und in Zaems Ballon zum Hexenstern geflogen. Aber meine Hoffnungen, im Dienst meiner Zaubermutter kämpfen zu können, haben sich nicht erfüllt. Vielleicht ist das besser so, denn ich weiß, was sie vorhat und von mir verlangen wird, doch bin ich nicht sicher, ob ich diese Tat guten Gewissens werde ausführen können. Ob ich überhaupt dazu in der Lage bin!
Schon einmal - im Nassen Grab - habe ich meiner Zaubermutter zuwidergehandelt, als sie den Tod Mythors befahl, ich ihn jedoch von meinen Kriegerinnen an Bord der Sturmbrecher bringen ließ, um ihn für mich zu retten… diesen Mann wie Caeryll, einen Krieger Gorgans!
Und vorhin, gerade als mich Zaem in meiner Kemenate überraschte, mußte ich daran denken, daß meine Amazonen Mythor inzwischen längst nach Burg Anakrom gebracht haben mußten, wo seine Ausbildung gerade vervollkommnet wird. Wenn meine Aufgabe am Hexenstern erledigt ist, werde ich meine Burg aufsuchen und mich im Schwertkampf mit ihm messen.
Dann werde ich wissen, wer stärker ist - die Töchter Vangas oder die Söhne Gorgans.
Wenn Zaem das erführe…
»Du hast keinen Grund zur Klage!« sagt meine Zaubermutter streng. »Du hattest Gelegenheit genug, dich im Kampf zu üben.«
Scheinkämpfe! Zaem ließ aus den Farben des Regenbogens Lichtgebilde entstehen, gegen die ich fechten konnte. Ich habe es satt!
»Du brauchtest diese Ruhepause, um in dich gehen zu können«, fährt Zaem fort. »Körperlich bist du voll auf der Höhe - meine beste Amazone. Dir fehlt nur noch die rechte geistige Einstellung. Diese aber erlangst du nur durch Enthaltsamkeit und innere Einkehr. Darum muß ich dich so kurz halten.«
Ich muß an die Aasenmädchen denken, die richtige Quälgeister sind. Sie behandeln mich wie eine Barbarin, und ich könnte sie dafür alle miteinander erwürgen, aber ich darf nicht Hand an sie legen. Enthaltsamkeit! Es gibt nicht einen Mann in der Frostburg, der mir beim Ankleiden und beim Anlegen der Rüstung dienlich sein könnte. Es gibt überhaupt nichts Männliches in Zaems Frostburg - sie hat das andere Geschlecht von ihrer Zacke des Hexensterns verbannt.
»Du bist dieses Leben nicht gewöhnt, ich weiß«, sagt Zaem mit mildem Spott. »Aber für diese kurze Zeit wirst du es ertragen. Ich hoffe, dich schon recht bald verabschieden zu können.«
»Ich bin bereit!« sage ich. »Es soll endlich getan werden, ich brenne darauf.«
Zaem nickt wissend.
»Du möchtest es endlich hinter dich bringen. Aber siehst du auch die Notwendigkeit dieser Maßnahme ein?«
»Was meine Zaubermutter beschließt, das hat für mich richtig zu sein«, antworte ich unbehaglich.
Zaem schüttelt langsam den Kopf.
»Was du tun wirst, das mußt du aus innerer Überzeugung tun«, sagt sie eindringlich. »Wenn ich mich mit dir bespreche, dann nicht, um mich zu rechtfertigen, sondern um dir begreiflich zu machen, warum es geschehen muß. Glaubst du, mir ist deine
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