Max Weber (German Edition)
oder sollte er eine Karriere im juristisch-wirtschaftlichen Bereich verfolgen? Im Sommer des Jahres 1890 bewarb er sich zunächst um die Syndikusstelle bei der Handelskammer Bremen, die Bewerbung scheiterte aber wegen des fehlenden Assessorexamens. Dieses schloss Weber nach Beendigung seiner Referendarzeit am 18. Oktober 1890 ab, sodass er in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt aber konzentrierte er sich bereits auf die wissenschaftliche Laufbahn.
Schon mit seiner Dissertation zur Entwicklung des Handelsrechts hatte Weber sein wissenschaftliches Thema gefunden: die Erforschung der Entstehungsbedingungen des kapitalistischen Wirtschaftens. Kaum hatte er sein Erstlingswerk abgeschlossen, verfolgte er diese Fragestellung erneut im Rahmen einer Habilitationsschrift über die Herausbildung des römischen Agrarkapitalismus. War der tatkräftige Mentor für seine Dissertation sein Lehrer Goldschmidt gewesen, so engagierte sich bei diesem zweiten akademischen Qualifikationsvorhaben der Berliner außerordentliche Professor für Statistik und Nationalökonomie, August Meitzen. Unter dessen Patronage strebte Weber die Lehrberechtigung (Venia) für «Römisches (Staats- und Privat-)Recht» an, wozu zuvor noch die Venia für Handelsrecht kam, die er mit einer Langfassung seiner Dissertationsschrift erwarb. Dadurch ergab sich für ihn die Möglichkeit, bereits ab dem Sommersemester 1892 den erkrankten Levin Goldschmidt zu vertreten: Der Weg in die akademische Wissenschaft schien für Max Weber endgültig vorgezeichnet.
Parallel zu den skizzierten akademischen Stationen engagierte er sich noch in zwei Organisationen, die ihm einen beruflichen Schritt in eine eher praktische und politische Richtung hätten ermöglichen können. Bedingt durch die Neigungen und persönlichen Kontakte seiner Mutter, besuchte er den maßgeblich von dem preußischen Hofprediger Adolf Stöcker 1890 gegründeten ersten Evangelisch-sozialen Kongreß. Im Rahmen dieser Organisation, die sich die aktive Beteiligung an der politischen und medialen Auseinandersetzung mit der «sozialen Frage» aus protestantischer Sicht zum Ziel gesetzt hatte, knüpfte Max Weber freundschaftliche Kontakte, insbesondere zu den protestantischen Geistlichen Paul Göhre und Friedrich Naumann, und arbeitete zugleich mit an der von Martin Rade, ebenfalls protestantischer Pfarrer, herausgegebenen Zeitschrift Christliche Welt .
Zudem erhielt er vom renommierten Verein für Socialpolitik den Auftrag, in der von diesem geplanten «Landarbeiter-Enquête» die Materialien zu den ostelbischen Gebieten zu bearbeiten. Auch dahinter steckte Webers Bemühen, endlich eine berufliche Anstellung zu finden, die ihn vor allem finanziell unabhängig machen würde. Dass dem 28-jährigen Berliner Privatdozenten der Rechtswissenschaft Max Weber dieser Auftrag erteilt wurde, scheint sich der Mithilfe seines Vaters zu verdanken, der Mitglied der «Kommission zur Vorbereitung des Gesetzentwurfs betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreussen und Posen» des Preußischen Abgeordnetenhauses war und das Ziel der Eindämmung der angeblichen Gefahr einer «Polonisierung» des deutschen Ostens durch gezielte «innere Kolonisation» teilte. Es spricht einiges dafür, dass in Anlage und Durchführung dieser Enquête Politik und Wissenschaft von Anfang an eng miteinander verflochten waren. Webers umfangreiche Auswertung erweist sich weniger als eine freie wissenschaftliche Arbeit im Auftrag eines unabhängigen sozialwissenschaftlichen Vereins, sondern sehr viel mehr als ein mit dem Preußischen Landwirtschaftsministerium abgesprochenes Gutachten zugunsten der inneren Kolonisation und damit eines nationalliberalen Reformprogramms für die Agrarpolitik Preußens.
Weber kannte die ihm in den Zahlen entgegentretenden Verhältnisse aus eigener, wenn auch oberflächlicher Anschauung. Sein Regiment war am 1. April 1887 von Straßburg in den Osten Preußens, in die Provinz Posen, verlegt worden. Anlässlich einer achtwöchigen Offiziersübung, die er im Sommer 1888 dort absolvierte, besuchte er auf Einladung des Landrats des Kreises Gnesen, Otto Nollau, die Kolonistengüter der Preußischen Ansiedelungskommission. Die Königliche Ansiedelungskommission für Westpreußen und Posen war durch Gesetz vom 26. April 1886 gegründet worden; ihr politischer Hauptzweck bestand darin, durch Landkäufe und die Aufteilung dieser Ländereien in Form von
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