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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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diesem trockenen Land Wasser sammelt, der Einstieg in das Höhlengewirr, zwei Stufen nehmen und dann bäuchlings hinein, und weiterkriechen, die Fackel schützend, die nur nochflackert, nicht mehr an Merope denken, die mir voraus sein mochte oder nicht, an nichts und niemanden mehr denken, weitermüssen, immer weiter, die Höhle, zu der der Gang sich schließlich erweiterte, war mir traumbekannt, oder woher wußte ich, daß hier der Weg sich gabelte, woher wußte ich, daß ich mich links zu halten hatte, daß bald meine Fackel erlöschen würde. Sie erlosch. Dann war der Gang so eng, daß ich rückwärts hätte kriechen müssen, um hinauszukommen, mußte also weiter, wissend, es könnte mein Verderben sein, immer wieder verirrt sich jemand in unterirdischen Höhlen und kommt darin um, will ich umkommen, die Frage hat mich gestreift, ich habe den Mund verzogen und bin weitergekrochen, dann leckte ich von den Wänden sickernde Feuchtigkeit, ein geschmackloses Naß, dann spürte ich, daß die Zusammensetzung der Luft sich veränderte, dann sträubte sich mir das Haar, noch ehe ich den Ton hörte. Dann hörte ich den Ton. Er hielt länger an, als ein Mensch Atem hat, ein kaum hörbares, doch durchdringendes Winseln, das konnte auch ein Tier sein, aber es war kein Tier.
    Es war die Frau. Es war Merope. Ich wollte zurück, nur noch zurück, und schob mich Stück für Stück vorwärts. Der Ton brach ab, der Hammer in meiner Brust überdröhnte jeden anderen Laut, das tut er auch jetzt, hämmert bis in die Schläfen, dann sah ich, als meine Augen in der Finsternis die Richtung gefunden hatten, im matten Schein ihres Öllämpchens die Königin sitzen, steil aufgerichtet an die Felswand gelehnt, die Augen unverwandt auf einen gegenüberliegenden Punkt geheftet. Klatschnaß vor Schweiß war ich in dieser Eiseskälte, ich stank vor Grauen, das war mir noch nie passiert,in mir regte sich etwas, das ich unter Verschluß gehalten und fast vergessen hatte, etwas Lebendiges in dieser Totengruft. Das war kein Spiel mehr. Wie eitel war die ganze Aufführung an der Königstafel gewesen, wie eitel auch mein Gehabe. Weiß ich doch lange: In dem großen Getriebe spielt auch der seine Rolle, der es verhöhnt, zwar ließ ich mich kaum noch darauf ein, das ist wahr, aber trieb mich nicht doch eine Spur von Gefallsucht auf des Königs Fest, anstatt mich zu verweigern, wie Merope es tat, die mich bis hierher geführt hatte, ans Ende der Unterwelt, wo mich nach dem Grauen die Panik überfiel, denn da kroch in unheimlicher Stille etwas heran, vor dem ich mich verbergen mußte, aber da war kein Spalt, keine Ritze im Fels. Was da heranschlich, hatte gelernt, sich lautlos zu bewegen und nicht einmal einen Luftzug zu verursachen, besser noch, als ich es kann, denn du hast mir sehr früh diese Art der Bewegung beigebracht, Mutter, die aus winzigen Nichtbewegungen besteht, und auch mit der Mauer zu verschmelzen hast du mich gelehrt – ich brauche das in meines Vaters Palast, sagtest du, ehe ich verstand, warum –, ebenso wie das Atmen, das jeden Hauch zurückhält, der sonst von eines Menschen Körper ausgeht, es war alles noch da, übernahm von selbst den Befehl und verhinderte, daß ich laut schlotterte vor dem Wesen, das, Schatten eines Schattens, sich zu der Frau heranschob, ihr ein Wort zuflüsterte, ihr das verlöschende Lämpchen aus der Hand nahm, worauf die sich hinter dem Weib, das ich nun erahnte, herziehen ließ und beide, da die Höhle sich verengte, auf die Knie hinunter mußten, eine Bewegung, die ich ihnen unwillkürlich nachmachte. Ich ging in die Knie, ob aus Schwäche oderaus Dankbarkeit gegen eine Gottheit, die mich noch einmal hatte davonkommen lassen. Oder aus Todesfurcht.
    Ich wartete, bis die Frauen außer Hörweite waren, dann fing ich an, mich an den Wänden der Höhle entlangzutasten. Ich mußte das Geheimnis dieser Königin kennen. In vollkommener Finsternis fanden meine Fingerspitzen, wonach sie wohl gesucht hatten, Einkratzungen, die nicht die Natur dem Stein zugefügt hat, Schabungen, mit Instrumenten ausgeführt, die ich von Kolchis her kenne, Linien, die ich verfolgen konnte, bis sie sich zu Zeichen zusammensetzten, zu Figuren, die man hier in Korinth, das wußte ich, in den Höhlengräbern hochgestellter Toter anbringt. Das kam meinem Verdacht entgegen, den ich noch nicht hätte ausdrücken können. An der Stelle, an der Merope gehockt hatte, ließ ich mich auf alle viere nieder und kroch hinüber zu der Wand, auf

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