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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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die Toten. Mir genügt es, den Sternen auf ihren berechenbaren Bahnen zuzusehen und zu warten, daß die Umklammerung des Schmerzes sich allmählich lockert.So kommt der Morgen, die Stadt erwacht mit immer den gleichen Regungen, mit immer den gleichen Lauten, so wird es bleiben, mag geschehen, was will. Die Menschen in ihren engen Häusern werden zum Alltag zurückkehren, in der Nacht haben manche ein Kind gezeugt, das soll so sein, dazu sind sie da.
    Aber da ist doch etwas anders als sonst. Eine Menschenmenge kommt aus Richtung der Tempelstadt. Ich trete an die Brüstung. Da versammeln sie sich schon auf dem Platz, eine Menge in Siegesstimmung. Was haben die denn zu feiern. Ein Summen geht von ihnen aus, wie ich es von einem angreifenden Bienenschwarm kenne. Meine Hände werden feucht, etwas treibt mich hinunter zu diesen Leuten. Die Unruhe ist noch in ihnen, sie können nicht auseinandergehen, sie bleiben zusammen und rühmen sich dessen, was sie getan haben. Die Menge wogt hin und her, ich laufe von einer Gruppe zur anderen, ich will hören, wovon sie reden, doch ich wage nicht, sie zu verstehen. Es mußte sein, höre ich sie immer wieder beteuern. Seit langem schon sei es ihnen klar gewesen, daß sie dies nicht länger hätten dulden können. Da niemand es tun wollte, hätten eben sie es tun müssen.
    Durch den Schleier, der sich über meine Augen legt, sehe ich den neuen Vertrauten des Akamas herankommen, einen verschlagenen rohen Burschen, durch das Dröhnen des Herzschlags in meinen Ohren höre ich ihn fragen, was los sei, doch so, als wisse er die Antwort. Die Menge verstummt, dann rufen mehrere: Wir haben es getan. Sie sind hin. Wer, fragt der Bursche. Die Kinder! ist die Antwort. Ihre verfluchten Kinder. Wir haben Korinth von dieser Seuche befreit. Und wie?fragt der Bursche mit Verschwörermiene. Gesteinigt! brüllen viele. Wie sie es verdienten.
    Die Sonne geht auf. Wie die Türme meiner Stadt im Morgenglanze schimmern.

11
    Die Männer, die von dem Geheimnis ausgeschlossen sind, Leben hervorzubringen, finden im Tod einen Ort, der, da er das Leben nimmt, als mächtiger angesehen wird als dieses selbst.
    Adriana Cavarero, ›Platon zum Trotz‹
    Medea
    Tot. Sie haben sie ermordet. Gesteinigt, sagt Arinna. Und ich habe gedacht, ihre Rachsucht vergeht, wenn ich gehe. Ich habe sie nicht gekannt.
    Mich hat sie nicht erkannt, doch Lyssa, ihre Mutter, erkannte sie an einem dunklen Fleck in ihrer Armbeuge. Wie sie erschrak. Das Leben hier hat uns verändert. Die Höhle. Die gnadenlose Sonne im Sommer, die Kälte im Winter. Die Nahrung aus Flechten, Käfern, kleinem Getier, Ameisen. Wir sind die Schatten unserer früheren Jahre.
    Wir Verblendeten. Wir haben von den Kindern als von Lebenden gesprochen. Haben sie aufwachsen sehen, Jahr um Jahr. Unsere Rächer sollten sie sein. Und ich war noch nicht aus dem Weichbild ihrer Stadt, da waren sie schon tot.
    Welcher Unhold hat Arinna hergeführt. Wollen die Götter mich lehren, wieder an sie zu glauben. Da lach ich nur. Jetzt bin ich ihnen über. Wo sie mich auch abtasten mit ihren grausamen Organen, sie finden keine Spur von Hoffnung, keine Spur von Furcht an mir. Nichts nichts. Die Liebe ist zerschlagen, auch der Schmerz hört auf. Ich bin frei. Wunschlos horch ich auf die Leere, die mich ganz erfüllt.
    Und die Korinther sollen immer noch nicht fertig sein mit mir. Was reden sie. Ich, Medea, hätte meine Kinder umgebracht. Ich, Medea, hätte mich an dem ungetreuen Jason rächen wollen. Wer soll das glauben, fragte ich. Arinna sagte: Alle. Auch Jason? Der hat nichts mehr zu sagen. Aber die Kolcher? Die sind alletot, bis auf die Frauen in den Bergen, und die sind verwildert.
    Arinna sagt, im siebten Jahre nach dem Tod der Kinder haben die Korinther sieben Knaben und sieben Mädchen aus edlen Familien ausgewählt. Haben ihnen die Köpfe geschoren. Haben sie in den Heratempel geschickt, wo sie ein Jahr verweilen müssen, meiner toten Kinder zu gedenken. Und dies von jetzt an alle sieben Jahre.
    So ist das. Darauf läuft es hinaus. Sie sorgen dafür, daß auch die Späteren mich Kindsmörderin nennen sollen. Aber was ist denen das gegen die Greuel, auf welche sie zurückblicken werden. Denn wir sind unbelehrbar.
    Was bleibt mir. Sie verfluchen. Fluch über euch alle. Fluch besonders über euch: Akamas. Kreon. Agameda. Presbon. Ein gräßliches Leben komme über euch und ein elender Tod. Euer Geheul soll zum Himmel aufsteigen und soll ihn nicht rühren. Ich, Medea, verfluche

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