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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Unversehrtheit meines Körpers gehütet. So sind wir gemacht, das muß doch einen Sinn haben. Und manchmal frage ich mich, was gibt einem Menschen, was gab dieser Frau das Recht, uns vor Entscheidungen zu stellen, denen wir nicht gewachsen sind, die uns aber zerreißen und uns als Unterlegene, als Versagende, als Schuldige zurücklassen.
    Warum kann ich nicht sein wie Oistros. Oistros arbeitet wie ein Besessener in seiner Arbeitshöhle, in der er sich verbarrikadiert hat, in die er niemanden hineinläßt. Er vernachlässigt sich, wäscht sich nicht, läßt seinen Bart und sein rotes Haar wuchern, ißt kaum, trinkt Wasser aus dem großen Krug, der bei Arethusa stand, und schlägt mit einer Wut, die mir angst macht, auf einen großen ungefügen Steinblock ein. Er spricht nicht,stiert mich aus seinen vom Steinstaub und von Schlaflosigkeit entzündeten Augen an, ich weiß nicht, erkennt er mich überhaupt. Er hat sich zur Unkenntlichkeit verändert. Wenn er auf die Straße ginge, würden die Kinder schreiend vor ihm davonlaufen. Ich weiß nicht, was er aus seinem Stein herausholen will, das letzte Mal glaubte ich Andeutungen von Figuren in heftiger Umschlingung zu erkennen, Gliedmaßen in einer Art hoffnungslosem Kampf jeder gegen jeden, oder im Todeskampf. Man kann nicht fragen. Er arbeitet sich zu Tode. Das will er.
    Oistros hat jedes Maß verloren, wie auch Medea jedes Maß verloren hatte. Maßlos ist sie am Ende gewesen, so, wie die Korinther sie brauchten, eine Furie. Wie sie, die bleichen verängstigten Knaben an der Hand, in den Tempel der Hera eindrang, die Priesterin beiseite schob, die ihr in den Weg trat; wie sie die Kinder zum Altar führte und zur Göttin aufschrie, was einer Drohung mehr ähnelte als einem Gebet: Sie solle diese Kinder schützen, da sie, die Mutter, es nicht mehr könne. Wie sie die Priesterinnen verpflichtete, sich der Kinder anzunehmen, was die aus Furcht und Mitleid versprachen. Wie sie dann mit den Kindern redete, versuchte, ihnen die Angst zu nehmen, sie umarmte und, ohne sich noch einmal umzusehen, den Tempel verließ, um sich sofort den wartenden Wachen auszuliefern. Wie sie die ganze Zeit, als man sie als Sündenbock durch die Stadt führte, einen schrecklichen Gesang ausstieß, der die Menschen am Straßenrand aufstachelte, ihn zu ersticken. Sie muß es darauf angelegt haben, getötet zu werden, aber die Wachen hatten den Befehl, sie lebend aus der Stadt zu bringen.
    Später, nachdem das Entsetzliche geschehen war, haben sie Kommandos losgeschickt, Medea aufzufinden, sie haben nach Lyssa gesucht, die auch verschwunden war, sie haben die wenigen überlebenden Kolcher hochnotpeinlich verhört, um den Aufenthaltsort der beiden aus ihnen herauszuprügeln. Die waren und bleiben wie vom Erdboden verschluckt, obwohl man jenseits der Stadtmauern tagelang gehen muß, ehe man einen Unterschlupf findet. Nun fahndet man nach Helfershelfern der beiden, die sie womöglich zu Pferde weggebracht haben könnten, nur um überhaupt etwas zu tun und um das Eingeständnis herumzukommen, daß man ohnmächtig ist und sich nicht rächen kann für den Tod der Tochter des Königs. Und weil man die Legenden im Keim ersticken will, die im abergläubischen Volk entstehen: daß die Göttin selbst, Artemis, die Flüchtenden in ihrem Schlangenwagen der Erde enthoben und sie in sichere Gefilde entführt habe.
    Die arme Glauke. Es war der Tag von Medeas Austreibung. Ich hockte wie betäubt in einem Gang des Palastes. Auf das Geschrei der Frauen, das aus dem Palasthof drang, achtete ich nicht, Verachtung für alles, was mit diesem Königshaus zu tun hatte, war in mir. Aufmerksam wurde ich erst, als ich Merope, die alte Königin, auf ihre Dienerinnen gestützt sich über den Palasthof schleppen sah, auf den Brunnen zu, um den der Pulk der schreienden Weiber sich zusammengezogen hatte. Dann sah ich den Pulk sich zerteilen, sah drei Knechte an Stricken eine seltsame Last aus dem Brunnen ziehen, ganz in Weiß, Glauke.
    Man legte die leblose Gestalt der Königin vor die Füße, ich sah sie niederknien und sich den Kopf derTochter in den Schoß legen. So verharrte sie, lange, und nach und nach breitete sich eine Stille aus, wie ich sie dort noch nie gehört habe. Mir war, als berge dieses Schweigen etwas wie Trauer und Gerechtigkeit in sich für alle die Opfer, die die verblendeten Menschen auf ihrem Irrgang hinter sich lassen. In dieser Stille sah ich Jason über den Hof wanken, als habe man ihm einen Schlag vor den Kopf

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