Medea. Stimmen
unser Frühlingsfest feierten, das Fest der Demeter, das mit dem Lauf über glühende Kohlen beginnt. Ich sah vom Rand her zu, aus dem stachligen Gebüsch, das den Festplatz umgab. Sie faßten sich bei den Händen und liefen schnell, juchzend und lachend, über das glühende Holzkohlenbett. Ich sah Lyssa, Arinna. Mein Herz begann rasend zu schlagen, ich mußte dabeisein. Ich lief zu den Frauen, sie machten kein Aufhebens von mir, begrüßten mich, als hätten sie mich erwartet, ich streckte die Hände aus, zwei nahmen mich in die Mitte, ich sammelte mich, wie ich es so oft zu Hause geübt hatte, ich rief:Los!, wir liefen zusammen über das Glutbett, wieder erlebte ich das Glück der Unverletzlichkeit, ich schrie vor Freude wie sie, noch einmal!, rief ich, zwei andere faßten nach meinen Händen, wir liefen, und noch einmal, und noch einmal, meine Fußsohlen blieben makellos weiß. Im gleichen Augenblick gab uns der Himmel ein Zeichen: Der schmale Rand des Mondes tauchte wieder auf als silberne Sichel, die sich schnell verbreiterte. Wir jubelten. Also sollten wir doch nicht verloren sein. Ich nahm den Lorbeer, den sie mir zu kauen gaben, der uns in den Rausch versetzte, so daß wir Demeter jauchzend durch die Nacht fahren sahen, wir jauchzten mit ihr und begannen unseren Tanz, der immer wilder wurde, den Labyrinthtanz. Endlich waren wir ganz bei uns, endlich war ich ganz bei mir. Es war nicht mehr weit bis zum Morgen.
Dann hörten wir die Axt.
Oistros meint, er hätte uns nicht gefunden, wenn nicht auch er die Axt gehört hätte und ihr nachgegangen wäre, wobei das Unheilsgefühl, das ihn die ganze Zeit über von Korinth herauf begleitet hatte, immer stärker in ihm wurde. So ging es auch mir. Mit einem Schlag war der Rausch, war die Freude verflogen. Ich wollte nicht glauben, was ich hörte. In unserem heiligen Hain schlug jemand einen Baum. Der Unselige war des Todes. Ich wußte keinen Rat, außer daß ich laut den Gesang wieder anstimmte, den wir eben unterbrochen hatten, um die Axtschläge zu übertönen. Die Frauen zischten mich an, hielten mir den Mund zu, ich sah ihre verzerrten Gesichter, sie haßten mich, ich haßte sie. In einem Pulk jagten sie zum Hain, rissen mich mit, an Oistros vorbei, der zurückwich, den sie nichtwahrnahmen, er packte mich, hielt mich fest, ich machte mich frei, sah nicht, aber hörte. Hörte das Geheul der Weiber, meiner Kolcherinnen, hörte den tierischen Schrei eines Mannes, dessen Stimme ich kannte. Turon, das war Turon. Wußte, was geschah. Sie schnitten ihm sein Geschlecht ab. Sie spießten es auf und trugen es vor sich her, während sie, besinnungslos, immer weiterheulend, sich der Stadt zu wälzten.
Jetzt herrscht Grabesstille im Viertel der Kolcher. Die Strafaktion folgte am gleichen Morgen. Alle, die die Soldaten des Königs ergreifen konnten, wurden niedergemacht. Ein Trost, daß einige Frauen und Mädchen sich zu Arinna in die Berge flüchten konnten.
Aber was denke ich da. Ein Wort wie Trost. Mit vielen anderen Worten ist es in mir ausgelöscht. Sprachlosigkeit steht mir bevor. Turon, der noch einmal davongekommene Turon, hat meinen Namen genannt. So mußte es kommen. Es war mein Gesicht, das er als erstes sah, als er zu sich kam. Gegen Oistros Flehen, mit ihm zu gehen, er würde mich verstecken, ich solle den Mann liegenlassen, dem sowieso nicht mehr zu helfen sei, gegen seinen wütenden Befehl näherte ich mich dem bewußtlosen Turon. Er lag neben dem Baum unseres heiligen Hains, einer Pinie, die er gefällt hatte, um die Kolcher dafür zu bestrafen, daß sie das Unglück der Pest und nun auch noch das der Mondfinsternis über Korinth gebracht hatten, so sagte er aus. Übrigens stirbt er nicht. In dem Beutel, den ich immer bei mir trage, hatte ich blutstillende Pflanzenextrakte, die die Wundheilung befördern. Ich brachte Oistros dazu, aus zwei Stämmchen und einigem Astwerk eine Art Trage herzustellen und ihn, den Turon, mit mir zusammen indie Stadt hinunterzubringen. Das Morgengrauen ging in die Morgenröte über, wir kamen in eine belagerte Festung. Posten an allen Ecken, bewaffnete Trupps, die durch die Stadt zogen, in Richtung auf die Außenbezirke. Ein junger Offizier ließ sich überreden, zwei Soldaten mit der Bahre zum Palast zu schicken. Uns ließ er, merkwürdig genug, unbehelligt gehen. Wir trennten uns auf dem Marktplatz. Wir umarmten uns nicht. Oistros legte seine Hände schwer auf meine Schultern, er hat mich nicht noch einmal gebeten, mit ihm zu
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