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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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gehen. Er hatte verstanden, daß ich zu den Kindern mußte. Ich habe ihn seitdem nicht gesehen. Ich weiß nichts von Arethusa.
    Unsere Hütte war von der Strafexpedition verschont, ich erfuhr, da hatte Jason seine Hand im Spiel. Lyssa war nicht bei den heulenden Frauen geblieben, sie war nach Hause gelaufen, zu den Kindern. Das vergeß ich ihr nicht. Sie blieb stumm.
    Stumm wie ich, als sie kamen und mich festnahmen. Ich hätte die Weiber angeführt, die dem Turon Gewalt antaten. Ich erwiderte nichts. Alles lief nach einem Plan ab, auf den ich keinen Einfluß mehr hatte. Heute früh haben sie mich geholt. Zur Gerichtsverhandlung, sagten sie, und brachten mich hierher in diesen winzigen finsteren Raum.
    Sie beraten immer noch. Ich höre Schritte den Gang herunterkommen. Müde, schlurfende Männerschritte. Sie kommen näher, ein alter Mann schleppt sich an meiner Tür vorbei, erblickt die Wachen, dann mich, bleibt stehen, lehnt sich an den Türrahmen, starrt mich an. Leukon. Ein Gespenst, das einst Leukon war. Lange schweigen wir, bis ich flüstern kann: Arethusa? Er nickt,stößt sich vom Türrahmen ab, geht weiter, auf den Verhandlungssaal zu.
    Dann ist wohl noch einmal Zeit vergangen. Jetzt werden die großen Türen des Saals aufgeschlagen. Jetzt bekommt der Bote Bescheid, der draußen auf seinen Auftritt gewartet hat. Jetzt geht er los, kommt näher. Jetzt packt mich die Sehnsucht nach all den Tagen, die sie mir rauben werden. Nach all den Sonnenaufgängen. Nach den Mahlzeiten mit den Kindern, nach den Umarmungen mit Oistros, nach den Liedern, die Lyssa singt. Nach allen einfachen Freuden, die die einzig dauerhaften sind. Jetzt habe ich sie alle hinter mir gelassen.
    Der Bote ist da.

9
    Jason: Gäb es andre Geburt, ganz ohne die Frau,
Wie glücklich wäre das Leben!
    Euripides, ›Medea‹
    Jason
    Nichts von allem, was geschehen ist, habe ich gewollt. Aber was hätte ich tun können. Sie hat sich selber ins Verderben gestürzt. Die Rasende. Sie hat es mir zeigen wollen. Sie hat es darauf angelegt, mich zu zermalmen. Und wenn man sie in Stücke hacken würde: Dann blieben immer noch ihre Augen. Die hören nicht auf, mich anzustarren.
    Vom ersten Augenblick an, da sie, geführt von dem Boten, den Saal betrat, hat sie nur nach mir gesucht, sie fand mich, zwang mich aufzustehen, allein durch ihren Blick. Als sollte auch mir das Urteil verkündet werden. Sie sah den Sprecher des Königs nicht an, nur mich. Sie trieb ihre Dreistigkeit auf den Höhepunkt, aber schließlich, was hatte sie zu verlieren.
    Es hätte nicht den mindesten Unterschied gemacht, wenn ich im Rat großmäulig aufgetreten wäre und sie verteidigt hätte. Womit denn. Woraufhin denn. Daß sie nicht beteiligt gewesen sei an des armen Turon Schmach, wohl aber an seiner Rettung? Das hätte mir doch niemand abgenommen. Da hätten sie doch auch mich aus dem Saal gewiesen. Sowieso paßten sie auf, wie ich mich verhielt.
    Götter. Diese wahnsinnigen Kolcherinnen. Dem Manne das Geschlecht abschneiden. Wir alle, wir Männer in Korinth, haben diesen Schmerz mitgefühlt. Ganz sicher wurde in den Nächten bis zur Bestrafung der Kolcherinnen und der Verurteilung der Medea kein Kind gezeugt, kein Mann war zeugungsfähig. Sie faßten ihre Frauen hart an, manche sollen sie geschlagen haben, und dieKorintherinnen verbargen sich in den Häusern oder liefen mit gesenkten Köpfen durch die Straßen, als hätten sie, jede von ihnen, den armen Turon geschändet, sie umschmeicheln ihre Männer und begrüßen lauthals die strenge Bestrafung der Schuldigen und fordern für Medea die Höchststrafe, allen voran die, die ihr Dank schulden, wie üblich. Und wenn diese böse Zeit einmal doch vorübergehen sollte und wir alle wieder zur Ruhe kommen, dann werden die Männer von Korinth obenauf und die Frauen noch mehr geduckt sein, das ist das Ende vom Lied.
    Es sollte mir recht sein, aber es ist mir nicht recht. Nichts freut mich mehr. Sie hat es mir vorausgesagt. Nicht auftrumpfend, nein, eher traurig, oder mitleidig, was unverschämt war. Sie hatte sich ja selbst jedes Mitgefühl verscherzt. Das sagte man mir im Rat, als ich versuchte, für sie um Milde zu bitten, wobei ich nicht versäumte, die Schwere ihrer Vergehen zu betonen, sie hätten mich sonst in der Luft zerrissen. Da rieb mir Akamas mein Verhältnis zu Medea unter die Nase, verständnisinnig, von Mann zu Mann, und ich stand da wie ein Ochse und zuckte mit keiner Wimper, als er, Akamas, durchblicken ließ, ihre Vorzüge

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