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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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hatte sechs Jahre als Zimmermannslehrling und doppelt so lange als Geselle gearbeitet. Er hätte längst Anwärter zum Zimmermannsmeister sein können, was die Voraussetzung war, um selbständig zu werden. Aber um den Meister zu schaffen, brauchte man Energie und Zeiten des Wohlstands, er dagegen war zu niedergeschlagen, um es zu versuchen.
    Ihr Leben kreiste weiterhin um die Handwerksgilde, doch nun ließ sie sogar die Londoner Zimmermannszunft im Stich, denn Nathanael meldete sich jeden Morgen im Zunfthaus, wo er nur erfuhr, dass es keine Arbeit gab.
    Wie viele andere entmutigte Männer suchte er Zuflucht bei einem Gebräu, das sie Pigment nannten: Einer der Zimmerleute steuerte Honig bei, ein anderer brachte ein paar Gewürze, und die Zunft hatte immer einen Krug Wein zur Verfügung. Trotz Nathanaels schlechter Seiten konnte ihn Agnes nicht meiden, dazu liebte sie die fleischlichen Wonnen zu sehr. Ihr Bauch war daher immer dick. Er machte ihr gleich wieder ein Kind, sobald eines geboren war, und immer, wenn der Zeitpunkt der Geburt näherkam, blieb er von zu Hause fort. Ihr Leben entsprach fast wörtlich den düsteren Prophezeiungen, die ihr Vater ausgesprochen hatte, als sie Rob bereits unter dem Herzen trug und den jungen Zimmermann heiratete, der nach Watford gekommen war, um ihrem Nachbarn eine Scheune zu bauen. Ihr Vater hatte ihre Schulbildung dafür verantwortlich gemacht, weil er meinte, dass Bildung einer Frau nur lüsternen Unsinn in den Kopf setzte.
    Er besaß ein kleines Anwesen, das ihm Aethelred von Wessex als Anerkennung für seinen militärischen Einsatz übereignet hatte. Er war der erste in der Familie Kemp gewesen, der Freisasse wurde. Walter Kemp hatte seine Tochter zur Schule geschickt in der Hoffnung, dass sie daraufhin einen Gutsbesitzer heiraten würde, denn für einen Eigentümer eines großen Gutes war es nützlich, eine Vertrauensperson zu haben, die lesen und rechnen konnte, und warum sollte dies nicht die eigene Ehefrau sein? Es hatte Kemp verbittert, als sie eine niedrige, liederliche Liebschaft unter ihrem Stand einging. Der arme Mann hatte sie jedoch nicht einmal enterben können: Als er starb, fiel sein kleiner Besitz wegen außenstehender Abgaben an die Krone zurück. Aber sein Ehrgeiz hatte ihr Leben bestimmt. Die fünf glücklichsten Jahre, an die sie sich erinnern konnte, waren diejenigen, da sie als Kind die Klosterschule besuchen durfte. Die Nonnen hatten ihr Lesen und Schreiben beigebracht und eine oberflächliche Kenntnis der lateinischen Sprache, in der der Katechismus abgefasst war. Sie hatten sie gelehrt, wie man Kleider zuschnitt und einen unsichtbaren Saum nähte und wie man Goldstickereien anfertigt, die so elegant waren, dass sie in Frankreich, wo sie >englische Stickerei< genannt wurden, sehr begehrt waren.
    Der >Unsinn<, den sie von den Nonnen gelernt hatte, hielt jetzt ihre Familie am Leben.
    An diesem Morgen hatte sie noch überlegt, ob sie die Stickarbeit wirklich abliefern sollte. Ihre Niederkunft stand kurz bevor, und sie fühlte sich schwer und unförmig. Aber die Lebensmittelvorräte waren aufgebraucht. Sie musste auf den Billingsgate-Markt gehen, um Mehl und Fleisch zu kaufen, dafür brauchte sie aber das Geld, das ihr der Exporteur bezahlen würde, der in Southwark wohnte, auf der anderen Seite des Flusses. Sie ging langsam mit ihrem kleinen Bündel die Thames Street zur London Bridge hinunter. Wie gewöhnlich wimmelte die Thames Street vor Packtieren und Schauerleuten, die Waren zwischen den höhlenartigen Lagerhäusern und dem Wald von Schiffmasten an den Kais hin und her beförderten. Der Lärm erfrischte sie belebend wie Regen ausgedörrten Boden. Trotz aller Schwierigkeiten war sie Nathanael dafür dankbar, dass er sie von Watford und dem Anwesen ihres Vaters weggeholt hatte. Sie liebte diese Stadt so sehr.
    Sie ging an zerlumpten Unfreien vorbei, die Eisenbarren zu vor Anker liegenden Schiffen schleppten. Hunde bellten die unglücklichen Männer an, die sich unter ihren schweren Lasten abmühten, so dass Schweißperlen auf ihren kahlgeschorenen Köpfen glänzten. Sie atmete den Knoblauchgestank ungewaschenen Körper ein und den metallischen Geruch der Eisenbarren, dann einen angenehmen Duft, der von einem Karren kam, auf dem ein Mann Fleischpasteten feilbot. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, aber sie hatte nur ein Geldstück in der Tasche und hungrige Kinder daheim. »Pasteten, verführerisch wie die Sünde«, pries der Verkäufer. »Heiß und

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