Der viel zu schoene Traum
1. KAPITEL
„Sie sind mir vielleicht ein schöner Vater!”
Mit müden Augen sah Hawk vom Computer auf. Vor ihm stand eine wildfremde Frau, die offenbar den Verstand verloren hatte. Dennoch galt sein erster Blick ihrer ausgesprochen weiblichen und sehr sexy Figur. Der zweite fiel auf ihre Haare, die von einem leuchtenden Kastanienrot waren, und die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ein paar widerspenstige Strähnen hatten sich aber daraus gelöst. An einem ihrer wohlgeformten Beine hatte sie eine Laufmasche. Für Hawks Geschmack als Geschäftsmann und Arbeitgeber war dieser Rock etwas zu kurz. Persönlich fand er ihn jedoch durchaus reizvoll.
Als er sah, dass sie nach seiner gründlichen Musterung so wütend dreinblickte, dass ihre Augen nur so blitzten, war er froh, dass sie offenbar nicht bewaffnet war.
Ihm war niemals in den Sinn gekommen, dass er mitten in der Einsamkeit Wyomings einen Bodyguard benötigen könnte.
Der anklagende Satz, den die Frau ihm entgegengeschleudert hatte, klang ihm noch in den Ohren. In gewisser Weise hatte er sich diesen Vorwurf nach dem Tod seiner Frau schon oft genug selbst gemacht. Sie hatte ihn als allein erziehenden Vater zurückgelassen, der keine Ahnung gehabt hatte, was für eine Herausforderung diese Rolle für ihn sein würde. Er war überrascht gewesen, wie viel schwieriger es war, zwei kleine Kinder zu beaufsichtigen, als die Verantwortung für eine Firma zu tragen, deren Angestellte sich ohnehin überschlugen, ihm alles recht zu machen.
Deshalb fiel es ihm jetzt auch nicht schwer, zu erraten, wer diese Person in sein Haus gelassen hatte. Die Schuldigen standen rechts und links neben ihr - der fünfjährige Billy und seine vierjährige Schwester Sarah.
Selbst an einem der seltenen Tage, an dem alles glatt lief, wäre Hawk verärgert gewesen über die Unterbrechung und eine derartige Anschuldigung. Und heute war wahrlich kein solcher Tag. Sein Tag hatte damit angefangen, dass das Frühstück angebrannt war. Dann hatte er lange mit Sarah die Notwendigkeit des Haarekämmens debattieren müssen. Später hatte er sich den Zeh an einem herumliegenden Spielzeuglaster gestoßen und dabei Orangensaft auf einen wichtigen Vertrag gekippt.
Nun versuchte er seit geraumer Zeit, einen wichtigen Handel abzuschließen. Noch ein einziger Stromausfall, schwor sich Hawk, und mein nagelneuer Computer fliegt aus dem Fenster.
Und er selbst würde mit Kind und Kegel zurück nach New York fliegen.
„Entschuldigen Sie bitte”, entgegnete er kühl. „Aber was sagten Sie?”
„Um Verzeihung bitten sollten Sie allerdings”, erwiderte die Verrückte und wedelte mit dem abgebrochenen Absatz ihres Schuhs vor seinem Gesicht herum. Sie schien nicht im Mindesten beeindruckt von seinem formellen Auftreten. „Ich würde Sie gern dem Jugendamt melden!”
„Ach, würden Sie das?” murmelte Hawk in gespieltem Erstaunen, als zweifle er an ihrer Zurechnungsfähigkeit.
Sie hingegen schien ihn für etwas begriffsstutzig zu halten, denn sie wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht und sprach jetzt sehr langsam.
„Ich bin Ella McBride, Ihre Nachbarin. Auch auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, möchte ich wiederholen, dass ich doch wirklich wissen will, was für ein Vater seine Kinder ohne Aufsicht durch die Gegend wandern lässt, ohne sich darum zu kümmern, was ihnen alles zustoßen könnte. Wissen Sie, wie gefährlich das ist? Muss ich es aufzählen? Bären ? Schlangen ? Sittenstrolche!”
Verwirrt richtete Hawk seine Aufmerksamkeit auf seine Kinder, die sich rasch hinter dem Rücken ihrer Beschützerin versteckten. Langsam dämmerte ihm, was geschehen war. Ein kalter Schrecken durchzuckte ihn. Was hätte alles passieren können!
Und er hatte die ganze Zeit geglaubt, Billy und Sarah wären im Kinderzimmer und guckten Zeichentrickfilme!
„Soll das etwa heißen, dass ihr ohne Erlaubnis das Haus verlassen habt?” fragte er mit leiser Stimme, aber lautes Gebrüll hätte kaum weniger effektvoll sein können.
Die Kinder zuckten zusammen. Selbst Ella erbebte innerlich.
Noch nie hatte eine Stimme eine solche Wirkung auf sie gehabt. Sie beobachtete, wie Hawk mit den Fingern durch sein dunkles Haar fuhr, das an den Schläfen leicht silbergrau schimmerte. Ein distinguierter Mann, dachte sie und strich sich nun ebenfalls eine Strähne aus dem Gesicht. Sofort bereute sie diese etwas kokette Geste. Was kümmerte sie ausgerechnet jetzt ihr Aussehen? Sie war schließlich hierher
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