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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Ma getan hätte. Am Morgen, nachdem das Kleine seinen Brei bekommen hatte und die anderen Gerstenbrot gegessen und etwas getrunken hatten, säuberte er den Herd unter dem runden Rauchloch, durch das, wenn es regnete, Tropfen zischend ins Feuer fielen. Er trug die Asche hinter das Haus und kehrte dann die Böden. Er staubte die wenigen Möbel in allen drei Räumen ab. Dreimal in der Woche kaufte er in Billingsgate die Lebensmittel ein, die Ma bei ihrem einzigen wöchentlichen Marktbesuch nach Hause gebracht hatte. Viele Ladenbesitzer kannten ihn. Manche überreichten ihm für die Familie Cole zusammen mit ihren Beileidsbezeugungen ein kleines Geschenk, als er das erste Mal allein kam: ein paar Äpfel, ein Stück Käse, einen halben gepökelten Dorsch. Aber nach ein paar Wochen kehrte der Alltag ein, und er feilschte mit ihnen wilder als Ma, damit sie nicht auf den Gedanken kamen, ein Kind zu übervorteilen.
    Dieses Jahr hatte Ma Samuel zur Schule schicken wollen. Sie hatte sich gegen Nathanael durchgesetzt und ihn dazu überredet, dass Rob bei den Mönchen von St. Botolph Unterricht nahm. Er war zwei Jahre lang täglich in die Klosterschule gegangen, bis er zu Hause bleiben musste, damit sie genügend Zeit fand zu sticken. Jetzt würde keiner von ihnen zur Schule gehen, denn sein Vater konnte weder lesen noch schreiben und fand, dass die Lernerei Zeitvergeudung war. Doch Rob fehlte die Schule sehr.
    Eines Abends lobte ihn sein Vater, weil er so tüchtig war. »Du warst immer sehr reif für deine Jahre«, stellte Nathanael fast missbilligend fest. Sie sahen einander befangen an, da sie sich sonst nichts zu sagen hatten. Wenn Nathanael seine freie Zeit mit Huren verbrachte, wollte Rob nichts davon wissen. Er hasste seinen Vater immer noch bei dem Gedanken daran, wie es Ma ergangen war, doch er wusste, dass Nathanael sich auf eine Weise abschuftete, die sie bewundert hätte. Seine Schwester und die Brüder hätte er bereitwillig der Witwe überlassen, und er beobachtete Della Hargreaves' Kommen und Gehen erwartungsvoll, denn die Anzüglichkeiten und Witze der Nachbarn hatten ihm verraten, dass sie seine Stiefmutter werden könnte. Sie war kinderlos, und ihr Mann war ein Zimmermann gewesen, den vor fünfzehn Monaten ein herabfallender Balken getötet hatte. Wenn eine Frau starb und kleine Kinder hinterließ, war es üblich, dass der Witwer bald wieder heiratete, und so wunderte sich niemand, als Nathanael begann, sich allein mit Della in ihrem Haus aufzuhalten. Aber solche Zwischenspiele waren begrenzt, weil Nathanael für gewöhnlich zu müde war. Er arbeitete in Nässe und Kälte, wenn sie während der Ebbe große Pfähle für Wälle tief in das Flussbett rammten. Wie die übrigen seiner Arbeitsgruppe zog er sich einen rauen, trockenen Husten zu und kam immer völlig erschöpft nach Hause. Aus der Tiefe des kalten Themseschlamms förderten sie Fundstücke der Geschichte ans Tageslicht: eine römische Ledersandale mit langen Knöchelriemen, einen zerbrochenen Speer, Scherben von Tongefäßen. Einmal brachte er einen bearbeiteten Feuersteinsplitter für Rob nach Hause; die Pfeilspitze war scharf wie ein Messer und in sechs Meter Tiefe gefunden worden.
    »Ist sie römisch?« fragte Rob eifrig. Sein Vater hob die Schultern. »Vielleicht sächsisch.« Aber über den Ursprung der Münze, die ein paar Tage später gefunden wurde, gab es keinen Zweifel. Als Rob Asche befeuchtete und die Münze damit lange rieb, erschienen auf einer Seite der geschwärzten Scheibe die Worte PRIMA COHORS BRITANNIAE LONDONII . Sein Kirchenlatein reichte zum Entziffern kaum aus. »Vielleicht bezieht sich das auf die erste Kohorte, die in London stationiert war«, meinte er. Auf der anderen Seite befanden sich ein berittener Römer und die drei Buchstaben IOX.
    »Was bedeutet IOX?« fragte sein Vater.
    Er wusste es nicht. Ma hätte es sicher gewusst, aber er kannte sonst niemanden, den er hätte fragen können, und so legte er die Münze beiseite.
    Sie hatten sich so sehr an Nathanaels Husten gewöhnt, dass sie ihn nicht mehr hörten. Als Rob eines Morgens den Herd reinigte, entstand vor dem Haus Unruhe. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, sah er Harmon Whitelock aus der Arbeitsgruppe seines Vaters und zwei Unfreie, die er von den Schauerleuten requiriert hatte, um Nathanael nach Hause tragen zu lassen.
    Die unfreien Knechte flößten Rob Entsetzen ein. Es gab verschiedene Möglichkeiten, durch die ein Mann seine Freiheit verlieren konnte: Ein

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