Medicus 01 - Der Medicus
Trinksprüche auf seine Braut, seine Söhne und ihren Clan aus, und die übrigen speiste er mit einem Scherzwort und einem Lächeln ab.
Der Kreis schließt sich
Wieso die Frau wieder ein neues Leben in sich trug, blieb ein ungelöstes Rätsel. Nachdem sie zwei Söhne geboren hatte und dann fünf Jahre unfruchtbar gewesen war, wurde Mary nach ihrer kirchlichen Vermählung schwanger. Sie war vorsichtig und ersuchte jetzt öfter einen der Männer, ihr bei der Arbeit zu helfen. Die beiden Söhne waren ihr stets auf den Fersen und besorgten leichte Verrichtungen. Man konnte dabei unschwer erkennen, welches Kind Schafzüchter werden würde. Mitunter schien zwar Rob James diese Arbeit zu gefallen, immer aber war Tarn darauf aus, die Lämmer zu füttern, und er bettelte bei jeder Gelegenheit, sie scheren zu dürfen. Er hatte noch eine Begabung, die man zuerst nur andeutungsweise erkennen konnte, wenn er mit einem Stock Linien in die Erde kratzte. Doch dann gab ihm sein Vater Zeichenkohle und eine Fichtenholztafel und zeigte ihm, wie man Gegenstände und Menschen abbildet. Rob mußte dem Sohn nicht sagen, daß er auch die Fehler wiedergeben müsse. An der Wand über Tams Bett hing der Teppich des Samaniden-Königs, und alle wußten, daß er ihm gehörte, daß er das Geschenk eines Freundes der Familie in Persien war. Nur einmal mußten Mary und Rob sich den Schatten der Vergangenheit stellen, die sie unterdrückt und verdrängt hatten. Als Rob zusah, wie Tarn einem herumirrenden Mutterschaf nachlief, wußte er, daß es den Jungen bedrücken würde zu erfahren, daß er eine Reihe von orientalischen Brüdern habe, die er nie kennenlernen würde. »Wir werden es ihm niemals erzählen.«
»Er ist dein Sohn«, sagte sie. Sie wandte sich um und schloß ihn in die Arme, und zwischen ihnen befand sich ihr anschwellender Bauch, in dem Jura Agnes, ihre einzige Tochter, darauf wartete, auf die Welt zu kommen.
Rob mußte die neue Sprache lernen, denn sie wurde überall um ihn gesprochen. Pater Domhnall lieh ihm eine von irischen Mönchen auf gälisch geschriebene Bibel, und wie er das Persische aus dem Koran gelernt hatte, lernte er nun Gälisch aus der Heiligen Schrift. In seinem Arbeitszimmer hängte er den >durchsichtigen Mann< und die >schwangere Frau< auf, und er begann, seine Söhne an Hand der anatomischen Zeichnungen zu unterrichten und ihre Fragen zu beantworten. Oftmals, wenn er zu einem Kranken oder einem Tier gerufen wurde, begleiteten ihn einer oder beide. An einem solchen Tag ritt Rob James hinter seinem Vater auf Al Borak zu einem Bauernhaus, in dem es nach Ostrics sterbender Frau Ardis stank.
Der Junge sah zu, wie Rob einen Aufguß einschenkte und ihn Ardis verabreichte. Dann goß der Vater Wasser auf ein Stück Stoff und reichte es seinem Sohn. »Du kannst ihr das Gesicht waschen.« Rob James tat es vorsichtig und betupfte auch die aufgesprungenen Lippen. Als er fertig war, tastete Ardis herum und ergriff die Hände des Jungen. Rob sah, wie sich dessen freundliches Lächeln verwandelte. Er erlebte die Verwirrung der ersten Erkenntnis, die Blässe, die Verkrampfung, mit der der Junge die Hände zurückstieß. »Schon gut«, sagte er, legte den Arm um die schmalen Schultern und drückte Rob James an sich. »Es ist schon in Ordnung.« Erst sieben Jahre war sein Sohn alt, zwei Jahre jünger, als er damals gewesen war. Er stellte staunend fest, daß sich sein Leben in einem großen Kreis vollendet hatte.
Er tröstete und behandelte Ardis. Als sie das Haus verlassen hatten, ergriff er die Hände seines Sohnes, damit Rob James die lebendige Stärke seines Vaters fühlen und sich beruhigen konnte. Er blickte in Rob James' Augen.
»Was du bei Ardis gespürt hast, und das Leben, das du jetzt in mir entdeckst - diese Dinge zu fühlen ist eine Gabe des Allmächtigen. Eine gute Gabe. Befürchte nicht, daß es etwas Böses ist!
Versuche jetzt nicht, es zu verstehen! Du wirst es später verstehen. Hab keine Angst!«
Die Farbe kehrte in das Gesicht seines Sohnes zurück. »Ja, Pa.«
Er stieg auf, half dem Jungen hinter sich aufs Pferd und ritt mit ihm nach Hause.
Ardis starb acht Tage später. Noch Monate danach kam Rob James weder in die Apotheke, noch begleitete er seinen Vater, wenn er Krankenbesuche machte. Rob drängte ihn nicht. Auch für ein Kind mußte das Mitgefühl am Leiden der Welt eine freiwillige Entscheidung sein.
Rob James versuchte, gemeinsam mit Tam Schafe zu hüten. Als es ihn langweilte, ging er allein
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