Medicus 02 - Der Schamane
und sie sehr liebte. Nachdem Colonel Symonds einmal unerfahrene Soldaten in umkämpftes Gebiet hatte führen müssen, war er entschlossen, sie nie wieder unvorbereitet in eine Schlacht ziehen zu lassen. Während des Winters drillte er seine Soldaten hart. Es gab Übungsmärsche von dreißig Meilen Länge, die Rob J. neue Patienten bescherten, da manche der Männer vom Schleppen des vollen Marschgepäcks und der schweren Musketen Muskelzerrungen davontrugen. Andere bekamen durch die Gürtel, an denen schwere Patronenkästen hingen, einen Leistenbruch. Ständig trainierten Gruppen den Gebrauch des Bajonetts, und Symonds zwang sie, das mühevolle Laden der Musketen wieder und wieder zu üben: »Beißt das Papier von der Patrone ab, als ob ihr wütend auf sie wärt. Schüttet das Schießpulver in den Lauf, steckt das Minie-Geschoss hinein und das Papier als Stöpsel drauf, und rammt dann das Ganze fest nach unten. Nehmt ein Zündhütchen aus eurem Beutel und setzt es auf den Nippel am Verschlussstück. Und dann zielt und feuert!«
Sie wiederholten es unermüdlich, unendlich. Symonds erklärte Rob J., er wolle, dass sie das Laden und Feuern auch beherrschten, wenn sie mitten aus dem Schlaf gerissen würden, wenn sie betäubt vor Angst seien oder wenn ihre Hände vor Furcht und Aufregung zitterten. Und damit sie lernten, Befehle auszuführen, ohne zu überlegen oder zu protestieren, ließ der Colonel sie in geschlossener Ordnung marschieren, auf und ab, auf und ab. An Tagen, an denen Schnee lag, lieh sich Symonds von der Cairoer Straßenmeisterei große Walzen aus, die dann von Pferdegespannen so lange über den Exerzierplatz gezogen wurden, bis er flach und hart genug war für weiteren Drill, den dann die Regimentskapelle mit Märschen und Quicksteps begleitete. Als Rob J. an einem klaren Wintertag am Exerzierplatz entlangschlenderte, der sich allmählich mit Soldaten füllte, musterte er die schon bereit sitzenden Musiker, und er bemerkte, dass einer der Hornisten ein großes Muttermal im Gesicht hatte. Das schwere Instrument lag auf seiner linken Schulter abgestützt, so dass der geschwungene Messinghals und der große Schalltrichter golden in der Sonne glänzten, während er seine Backen beim Spiel von »Hail Columbia« aufblähte wie Ballons. Jedesmal wenn sich die Wangen des Mannes von neuem mit Luft füllten, wurde der purpurne Fleck unter seinem rechten Auge dunkler - wie ein Signal.
Zwölf Jahre lang hatte Rob J. sich jedesmal innerlich verkrampft, wenn er einen Mann mit einem Muttermal im Gesicht sah, doch jetzt ging er, automatisch dem Takt der Musik angepasst, einfach weiter, den ganzen Weg zu dem Zelt, in dem er seine Sprechstunde abhielt. Am nächsten Morgen, als er sah, wie die Kapelle zum Exerzierplatz marschierte, um bei einer Parade mitzumachen, hielt er nach dem Hornisten mit dem großen Muttermal Ausschau, doch der Mann war nicht dabei.
Rob J. ging zu den Hütten, in denen die Mitglieder der Kapelle untergebracht waren, und entdeckte den Gesuchten sofort: Er nahm gerade gefrorene Wäschestücke von der Leine. »Steifer als der Schwanz von ‘nem Gehängten«, sagte der Mann angewidert. »Völlig blödsinnig, mitten im Winter Inspektionen zu machen.« Heuchlerisch stimmte ihm Rob J. bei, obwohl er die Inspektionen selbst angeregt hatte, um die Männer zu zwingen, wenigstens einige ihrer Kleidungsstücke ab und zu zu waschen. »Dienstfrei heute?« Der Mann sah ihn verdrießlich an. »Ich marschiere nicht mit: Ich hinke.«
Und als er mit einem Arm voll Wäsche davonging, sah Rob J., dass es stimmte: Der Hornist hätte den Gleichschritt einer Militärkapelle gestört; sein rechtes Bein schien ein wenig kürzer zu sein als das linke, so dass er auffallend hinkte.
Rob J. ging in seine Hütte und setzte sich mit einer Decke um die Schultern in der kalten Dämmerung auf seinen Umhang. Zwölf Jahre. Er erinnerte sich genau an den Tag und an jeden einzelnen Hausbesuch, den er gemacht hatte, während Makwa-ikwa vergewaltigt und ermordet wurde.
Er dachte an die drei Männer, die unmittelbar vor dem Mord nach Holden’s Crossing gekommen und danach verschwunden waren. In all den zwölf Jahren hatte er nicht mehr Einzelheiten über sie in Erfahrung bringen können, als dass sie »versoffene Strolche« waren. Ein falscher Priester, Reverend Ellwood R. Patterson, den er wegen Syphilis behandelt hatte. Ein gedrungener, kräftiger Fettwanst namens Hank Cough. Und ein magerer junger Kerl, den sie Len genannt hatten,
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