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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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leichter war, als er gedacht hatte. Die Riegel waren sämtlich von außen angebracht, da sie ja die Flucht eines Gefangenen verhindern sollten. Und das Schloss war uralt und verrostet.
    Er trat ein. Das Licht seiner Fackel wies ihm den Weg.
    »Ist da jemand?«, fragte er auf Griechisch. Niemand antwortete. Plötzlich hörte er das Atmen eines Menschen. In einer Mauernische fand er eine Frau, die am Boden kauerte und ihm mit angstvollem Gesicht entgegensah.
    Ungläubig starrte Wolfhart sie an. Das Kleid war schmutzig und in schlechtem Zustand, die Frisur aufgelöst, das Gesicht hohlwangig und blass wie das einer Toten. Er konnte kaum glauben, was er sah – aber der Frau schien es nicht anders zu gehen.
    »Maria!«, brachte er mühsam hervor. Deshalb war ihm die schreiende Stimme bekannt vorgekommen.
    »Wolfhart!«
    »Wie kommst du hierher?«
    »Eine lange Geschichte aus Verrat und Intrige«, sagte eine schwache Stimme. Ein verhaltenes Lächeln spielte um die aufgesprungenen Lippen. Wolfhart half ihr auf und legte den Arm um sie. Sie blinzelte. Das Licht der Fackel schien sie als grell zu empfinden nach all der Zeit, die sie offenbar in Finsternis verbracht hatte.
    »Komm jetzt«, sagte er. »Wir müssen hier raus!«
    Während Wolfhart die Barke ruderte, erzählte Maria ihm in knappen Worten, was ihr zugestoßen war, dass man Davide umgebracht und sie als Hochverräterin verhaftet hatte.
    »Es ist eine große Verschwörung, Wolfhart. Und sie reicht bis in die höchsten Kreise des Kaiserpalastes. Es sollte niemanden wundern, wenn es demnächst sogar einen Kaiser geben wird, der im Zeichen von Lambda und Rho regiert.« Sie schluckte und sah ihn an. »Es muss eine Art Bestimmung sein, die uns wieder zusammengeführt hat.«
    »Das weiß ich nicht«, sagte er. »Ich weiß nur, dass ich froh bin, dich wiederzusehen, wenn auch unter Umständen, die schlimmer als ein Alptraum sind.«
    Sie musste husten, denn überall krochen Rauchschwaden über das dunkle Wasser.
    »Wohin fahren wir?«, wollte sie wissen.
    »Es gibt mitten in den Ruinen des Hippodroms eine Stelle, an der man ziemlich unbemerkt aus dieser Unterwelt emporsteigen kann«, erklärte Wolfhart. »Als ich dich zuletzt besuchte, habe ich das auf diesem Weg getan.«
    »Und danach? Das Kontor wird bewacht, und Jakob Forlanus und seine Getreuen stellen wahrscheinlich gerade ein Verzeichnis aller Vermögenswerte des Hauses di Lorenzo auf, die er jetzt als seine eigenen betrachtet, seit er …«
    »… seit er was?«
    Diesen Punkt hatte Maria bisher noch nicht erwähnt. »Seit er mit mir verheiratet wurde.« Und dann berichtete sie auch von diesem Teil des Komplotts.
    »Ich weiß nicht, was wir als Nächstes tun sollen«, sagte Wolfhart.
    »Dann sind wir jetzt in Gottes Hand.«
    »Das waren wir immer, Maria. Kaum jemand bestimmt seinen Weg vollkommen aus eigener Herrlichkeit. Nicht einmal die Fürsten und Kaiser!«
    Als sie zwischen den Ruinen des Hippodroms wieder die Oberwelt erreichten, schien dort die Morgensonne. Aber der Geruch und der Klang des Todes lagen über der Stadt. Der Geschützdonner war inzwischen weitgehend verstummt. Dafür trug der Wind Kampflärm herüber. Schreie waren zu hören, und Rauchfahnen stiegen zum Himmel auf. Ein Großteil der Häuser Konstantinopels war in Fachwerkbauweise errichtet worden und ein leichter Raub der Flammen.
    Wolfhart und Maria gelangten zur Mese und trafen auf Scharen von Flüchtlingen und Söldnern, deren Verbände sich wohl aufgelöst hatten. Aus dem aufgeregten Stimmengewirr ging hervor, dass die Truppen des Sultans längst in der Stadt waren. Überall wurde gekämpft. Ein Prediger rief laut, man solle zur Hagia Sophia flüchten, und selbst hinter den Mauern des nahen Kaiserpalastes stieg bereits an mehreren Stellen Rauch auf.
    Die Stadt war offenbar innerhalb weniger Stunden erobert worden, nachdem es an der Theodosianischen Mauer einen Durchbruch gegeben hatte.
    »Wir sollten versuchen, nach Pera zu gelangen!«, meinte Wolfhart.
    Maria sah ihn irritiert an. »Aber …«
    »Vergiss das Kontor am Eutherios-Hafen, Maria. Vergiss am besten alles, was das Haus di Lorenzo einst hier besessen hat. Du wirst alles verlieren, und je eher du dich damit abfindest, desto besser.«
    Maria sträubte sich gegen diese Erkenntnis. Aber insgeheim ahnte sie, dass Wolfhart Recht hatte. Jetzt ging es wohl nur noch darum, das blanke Leben zu retten. Die Welt, in der sie aufgewachsen war und die sie kannte, zerbrach, und es war

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