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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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kennengelernt haben.«
    Er hob fragend die Augenbrauen.
    »Als Sie ein Kind waren«, half sie ihm auf die Sprünge.
    »Ach so. Nein. Mein Vater hat mir Instruktionen erteilt – wenn man es so nennen will.«
    Sie nickte. »Hausunterricht. Das haben wir nicht oft auf World’s End. Die meisten Inselbewohner sind einfach dankbar, dass es genug Kinder gibt, um die Schule weiter betreiben zu können, wissen Sie?«
    »Tatsächlich.«
    »Hat es Ihnen gefallen, von Ihrem Vater unterrichtet zu werden? Oder haben Sie sich einsam gefühlt ohne andere Kinder?«
    Conn runzelte die Stirn. Diese Frage war ihm noch nie gestellt worden, hatte ihm zu stellen noch niemand gewagt. Er sprach sonst nie über sich oder darüber, was er vermisste oder was er mochte. Und vor allem sprach er nicht über seinen Vater.
    Er sah grimmig auf die Frau herunter, die mit großen, ausgreifenden Schritten neben ihm herging. Nun, da sich das Gespräch um ihn drehte, wirkte sie beschwingt, ja sogar attraktiv, und ihr ruhiges Gesicht leuchtete vor Leben.
    Es war ihr Job, hatte sie gesagt, Interesse zu zeigen. Er dachte, dass es auch ihre Natur sein musste.
    Aber warum war sie dann vorhin innerlich regelrecht zusammengebrochen? War ihr Aufmerksamkeit so zuwider? Sie hatte eine Art, die Augen niederzuschlagen und den Kopf einzuziehen, die sie fast unsichtbar machte.
    Wie Magie.
    Keine Magie, rief Conn sich ins Gedächtnis. Sie war ein Mensch. Sie konnte ihn oder seine Bedürfnisse nicht verstehen.
    »Ich bin nie einsam«, sagte er.
    »Sie und Ihr Vater müssen sich demnach sehr nahestehen«, bemerkte sie.
    »Nicht besonders«, antwortete Conn kühl.
    In ihren zartgrünen Augen spiegelte sich ihre Verwirrung wider. »Aber wenn er Sie unterrichtet hat –«
    »Ich habe meinen Vater seit vielen Jahren nicht mehr gesehen.« Seit Jahrhunderten, wenn er es genau nahm. Was er natürlich nicht tat. »Er hat jeden Anspruch auf Zuneigung oder Loyalität« –
oder den Thron
– »aufgegeben, als er uns verlassen hat.«
    »Uns?«, fragte sie leise.
    Conn sah sie ärgerlich an. »Meine Leute.«
    »Ihre Familie.«
    Er schwieg.
    »Es ist hart«, sagte sie. »Damit fertigzuwerden, dass ein Elternteil einfach geht. Ich meine, ich vermisse meine Mutter, und dabei erinnere ich mich nicht einmal an sie. Sie hat uns verlassen, als ich noch ein Baby war.«
    Conn runzelte die Stirn. Wollte sie ihr Mitgefühl ausdrücken? Er war ein Selkie, einer der Ersten Schöpfung. Er brauchte kein Mitleid. »Davon habe ich gehört.«
    Sie riss den Kopf zu ihm herum.
    »Von Ihrem Bruder«, setzte er hinzu.
    Ihre Stirn glättete sich. »Das stimmt. Kennen Sie ihn schon lange?«
    Seit Dylans Verwandlung mit dreizehn Jahren, als Atargatis entdeckt hatte, dass ihr ältester Sohn ein Selkie war. Sie war mit ihm in die See zurückgekehrt und hatte ihre Menschenfamilie zurückgelassen.
    Ein Jahr später war sie gestorben, gefangen und ertrunken im Netz eines Fischers, und Dylan war auf Sanctuary Conns Mündel geworden.
    »Lange genug«, erwiderte Conn.
    Nebel tropfte wie Tränen aus den Bäumen. Die Häuser schienen kleiner und weiter weg zu sein. Rostende Autos und Hummergestelle verschandelten die Hinterhöfe wie Wracks den Meeresboden.
    »Haben Sie sie kennengelernt?«, fragte Lucy plötzlich. »Meine Mutter?«
    »Ja.«
    »Wie war sie?«
    Unzufrieden, fiel Conn ein. Ebenso unglücklich mit dem Leben, in das sie zurückgekehrt war, wie mit dem, das sie hinter sich gelassen hatte. Fern der Magie von Sanctuary, in Menschengestalt, alterten Selkies, wie Menschen es taten. Die Jahre an Land hatten an Atargatis genagt, ihr Haar ausgetrocknet, sie mürrisch gemacht und Falten in ihre Augenwinkel gegraben. Aber sie war noch immer eine Selkie, noch immer verführerisch, noch immer …
    »Schön«, sagte er.
    »Das ist alles? Nur schön?«
    Was wollte sie von ihm hören? Sie war nicht wie die Mutter, von der sie verlassen worden war. Keine Selkie. Und auch keine Schönheit. Reizvoll vielleicht mit ihrem mageren, ruhigen Gesicht und ihrer fohlenhaften Anmut, aber …
    »Schön und traurig«, entgegnete Conn. »Vielleicht hat sie es bereut, euch verlassen zu haben.«
    »Vielleicht«, echote das Mädchen zweifelnd.
    »Sie könnten Ihren Bruder fragen.«
    »Nach dreiundzwanzig Jahren?« Unerwartet hellte ein Lachen ihre Augen auf. »Ich glaube nicht.«
    »Dann Ihren Vater.«
    »Wir reden nicht über sie.« Ihre Schultern waren hochgezogen. Sie starrte geradeaus auf die dunkler werdende Straße. »Eigentlich

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