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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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nicht gesagt?«
    Schweigen.
    »Ich glaube«, antwortete Conn schließlich, »dass sie dich schützen wollten.«
    Erneut kochte Wut in ihr hoch. »Wovor? Vor dir?«
    »Vor deiner Bestimmung.«
    Ihr Herz hämmerte. »Ich glaube nicht, dass es meine Bestimmung ist, mich in Unterwäsche auf hoher See in deiner Gesellschaft wiederzufinden.«
    Wie dämlich.
Sie schloss den Mund. Sie hätte ihn nicht auch noch daran erinnern müssen, dass sie quasi nackt war. Dass sie verletzlich war.
    Richtig. Als wüsste er es nicht selbst. Als würde er es nicht sehen.
    »Ich will dir nichts tun«, sagte er fast sanft.
    Sie widerstand dem Drang, die Arme vor der Brust zu verschränken, und reckte das Kinn vor. »Erzähl das meinen Brüdern. Sie werden mich holen kommen.«
    Oder?
    Okay, sie waren also keine große, glückliche Familie. Vielleicht hatten sie Geheimnisse voreinander. Vielleicht hatten sie sogar gelogen. Aber Caleb würde sie suchen. Sie konnte sich auf ihn verlassen. Selbst als sie sich als vierzehnjährige Ausreißerin in der Toilette einer Tankstelle die Eingeweide aus dem Leib gekotzt hatte, hatte ihr Bruder sie aufgespürt.
    »Sie werden dich nicht finden«, sagte Conn.
    Seine Zuversicht erschütterte sie. Ihr war kalt. So kalt. Das Fell umschmeichelte ihre Knöchel. »Caleb schon. Er ist Polizist.«
    »Er weiß ja nicht mal, dass du fort bist. Ich habe eine
claidheag
an deiner Stelle zurückgelassen.«
    Langsam wurde sie es leid, immer Maulaffen feilzuhalten und »Was?« zu rufen. Also sagte sie gar nichts darauf.
    »Eine
claidheag
ist ein Doppelgänger«, erklärte Conn, als hätte sie doch gefragt. »Ein lebendes Abbild, das durch Magie geschaffen wurde.«
    »Du hast eine Doppelgängerin von mir erschaffen.«
    Er nickte.
    Sie sog geräuschvoll die Luft ein. »Und deiner Meinung nach wird meine Familie nicht dahinterkommen, dass ich durch eine leere Hülle ersetzt wurde?«
    Er zuckte die Achseln. »Menschen sehen, was sie zu sehen erwarten. Was sie sehen wollen.«
    Sie zuckte zusammen. Natürlich weil er recht hatte.
    So machte sie es ja auch. So überlebte sie. Indem sie sich anpasste. Indem sie sich einfügte. Indem sie dafür sorgte, dass die Leute – ihre Lehrerkollegen, ihre Nachbarn, einfach alle –, wenn sie sie ansahen, die stille, wohlerzogene Lucy Hunter sahen, die sich um ihren Vater kümmerte und gut mit Kindern umgehen konnte.
    Nicht das eigenartige Mädchen.
    Nicht die Tochter des Säufers.
    Nicht den Superfreak.
    Ihr Blick fiel auf das Fell zu ihren Füßen. Auch wenn Conn mit dem Rest recht hatte – »Freak« traf es nicht annähernd.
    »Und was ist mit Dylan? Und Maggie? Sie sind keine Menschen, hast du gesagt. Sollten sie nicht in der Lage sein … äh …«
    »Sie haben keinen Grund zu vermuten, dass du fort sein könntest. Und die
claidheag
wird sehr rasch lernen, so zu sein, wie sie sie haben wollen.«
    »Das ist nicht dasselbe.«
    »Und ob es das ist. Du spielst doch auch Theater.« Sein Blick war scharf wie blanker Stahl, und seine Bemerkung traf sie mitten ins Herz. »Oder willst du etwa leugnen, dass deine Familie nur sieht, was sie sehen will, wenn sie dich anschaut?«
    »Meine Familie liebt mich«, sagte Lucy, und ihre Stimme zitterte vor Zorn. Sie hoffte jedenfalls, dass es Zorn war.
    »Sie kennen dich doch gar nicht.«
    »Genau wie du. Du weißt nichts über mich.«
    »Du bist die Tochter von Atargatis.«
    »Meine Mutter hieß Alice. Alice Hunter.«
    »Deine Mutter war die Meereshexe Atargatis.«
    Sie biss störrisch die Zähne zusammen. »Beweise es.«
    Sein funkelnder Blick wurde milder, zeigte etwas, das möglicherweise Verständnis war. »Ich muss überhaupt nichts beweisen. Die Beweise sind überall. In dir.«
    Der Pelz umspielte ihre Waden, und sie fühlte sich versucht, ihre Zehen in seiner Wärme zu vergraben. Sie zog die Füße unter den Stuhl. »Du meinst dein Fell.«
    »Ich meine deine Kräfte. Mach die Augen auf. Schau dir an, wie es hier aussieht. Deine Gabe hat sich gegen mich gestellt, um dich zu schützen.«
    »Zu spät«, flüsterte sie. »Wenn ich wirklich irgendwelche magischen Kräfte hätte, hätten sie sich bemerkbar machen müssen, als du mich im Garten überfallen hast.«
    Er hob die Augenbrauen. »Das war wohl kaum eine Vergewaltigung, meine Liebe. Du bist keine wehrlose Jungfrau.«
    Ihre Wangen, ihr Gesicht, ihr gesamter Körper brannten wie Feuer. Sie übernahm die Verantwortung für all ihre Taten. Aber es gab keinen Grund, beleidigend zu werden. »Was soll

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