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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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gab, den ihr häusliches Leben vermissen ließ. »Hast du sie gesehen?«
    Dylan nickte. »Heute Morgen. Sie sagte, dass es ihr schon ein bisschen besser geht. Anscheinend hat ihr unser Vater Tee gekocht.«
    »
Unser
Vater?«
    Dylans Lippen kräuselten sich. »Das hat sie gesagt.«
    »Allen geht es also gut«, meinte Caleb langsam. »Alle sind auf dem Posten.«
    »Nicht alle«, widersprach Dylan. »Nicht Conn.«
    »Er hat meinen Zuständigkeitsbereich verlassen.«
    »Und es stört dich nicht, dass er gegangen ist, ohne uns Bescheid zu sagen?«
    »So sind Selkies nun mal.«
    Dylan hob eine Augenbraue. »Immer noch sauer auf unsere Mutter, kleiner Bruder?«
    Caleb biss die Zähne zusammen. »Hier geht es nicht um unsere Mutter.«
    »Der Prinz sieht das aber ganz anders. Wenn die Prophezeiung stimmt –«
    »Wenn er auch nur ein bisschen auf die Prophezeiung geben würde, wäre er hier geblieben.«
    »Es sei denn, er konnte nicht«, entgegnete Dylan. »Ich hätte es erfahren, wenn die Dämonen meine Schutzzauber durchbrochen hätten. Aber irgendetwas muss passiert sein, das Conn nach Sanctuary zurückgerufen hat.«
    Das Gefühl von schlechtem Kaffee kehrte zurück und bereitete Caleb Sodbrennen. »Das ist sein Problem«, sagte er grimmig.
    Dylans leerer, schwarzer Blick begegnete dem seinen. »Bis es unser Problem wird.«
     
    Das Boot flog im Wind dahin; es stieg und fiel mit den Wellen, die Segel standen fast im rechten Winkel zum Rumpf. Conns Haar peitschte sein Gesicht.
    Er entblößte die Zähne, genoss den Rausch und die Kontrolle, die Geschwindigkeit, so aufregend wie die Freiheit. Seine Anwesenheit am Steuerrad war kaum nötig. Magie rief den Wind herbei, der die Segel blähte. Aber es freute ihn zu wissen, dass er sein Händchen für Boote nicht verloren hatte, obwohl Jahrhunderte vergangen waren, seitdem er zum letzten Mal seine Heimat verlassen hatte.
    Die Insel tauchte plötzlich aus der See zwischen den tief reichenden Kelpwäldern und dem wild wirbelnden Himmel auf, so massiv wie ein Anker. Und strahlend wie ein Traum.
    Sanctuary.
    Ein habgieriger Schmerz schnürte ihm die Brust zusammen. Er schielte durch die Strähnen seines Haars hindurch und versuchte, seine Heimat mit den Augen eines Fremden zu sehen. Mit Lucys Augen.
    Die grünen Hügel waren mit dem Abschied des Sommers verblasst, doch heute hatte die Sonne den Nebel und den Zauber durchdringen können und überschüttete die alten Türme mit Licht. Die Gischt funkelte an den Felsen, als hätte jemand händeweise Diamanten ausgestreut. Eine Wolke aus Seevögeln strich an den südlichen Klippen vorbei und kreischte ein flüchtiges, fernes Willkommen.
    Würde das Mädchen, das unter Deck schlief, die kalte, schroffe Schönheit der Insel schätzen lernen? Wie hätte sie es nicht sollen?
    Unaufgefordert wehten ihn ihre Worte wieder an.
»Ich habe nicht darum gebeten, hierherzukommen. Du musst mich wieder nach Hause bringen.«
    Conns Hände umklammerten das Steuerrad fester, und seine heitere Stimmung legte sich wie der Wind. Er war an seine Pflicht gebunden wie an Lucys Schicksal. Ihre Angst spielte ebenso wenig eine Rolle wie seine eigene Reue. Es gab kein Zurück mehr, dachte er düster.
    Für keinen von ihnen beiden.
    Er hörte sie, bevor er sie sah, das Scharren der Luke, ihren leisen Tritt. Er
roch
sie, menschlich, weiblich, süß.
    Er wandte den Kopf.
    Lucy hielt sich an der Reling fest, die Beine gegen den Seegang fest in den Boden gestemmt. Er wollte schon zu ihr gehen, sie mit der Hand am Ellbogen stützen. Aber Selkies berührten sich nicht. Nur im Kampf oder bei der Paarung. Beides waren Akte der Besitzergreifung wie der Leidenschaft.
    Sie hätte seine Hilfe ohnehin nicht begrüßt. In der Kabine war sie vor ihm zurückgewichen, vor der Berührung durch sein Fell.
    Gestern hatte sie eine riesige gelbe Regenjacke und einen marineblauen Overall in einem der Spinde gefunden und sie gegen die Wärme seines Fells eingetauscht. Mit der Jacke, die ihr bis unter die Knie reichte und deren Ärmel sie über die Handgelenke hochgekrempelt hatte, sah sie lächerlich, verlockend und sehr, sehr jung aus.
    Alt genug,
hatte sie gesagt.
    Für Sex? Kein Zweifel.
    Für den Rest? Er war sich nicht sicher. Er herrschte nun seit neun Jahrhunderten. Und er lebte schon viel länger. Aber Lucy war jung, auch nach menschlichen Maßstäben. Ihr erschien selbst Dylan alt. Sie hatte keine Ahnung von wahrem Alter, und erst recht nicht davon, was von ihr erwartet

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