Mehr als nur Traeume
war ihr gar nicht zum Jubeln zumute. Eher, als würde sie etwas vermissen. Sie zwang sich dazu, die Schultern durchzudrücken und den Kopf zu heben. Es war schon spät am Tag, und sie mußte noch einen Platz finden, wo sie übernachten konnte - ein billiges Haus -und sich danach schlüssig werden über ihre weiteren Schritte.
Nicholas fand das Zimmer rechts der Treppe, und zuerst wirkte es auf ihn bedrückend. Es war klein, besaß zwei winzige harte Betten ohne Himmel und Vorhänge, und die Wände waren sehr kahl. Doch bei näherem Hinsehen entdeckte er, daß die Wände mit Tausenden von blauen Blümchen bemalt waren. Er dachte, wenn da vielleicht ein Rahmen gewesen und eine gewisse Ordnung in diesem Gemälde geherrscht hätte, hätte das Zimmer nicht ganz so übel ausgesehen.
Da war auch ein Fenster mit diesem wunderbaren Glas darin und zwei bemalten Tüchern an den Seiten. Und an den Wänden hingen gerahmte Bilder, und als er sie berührte, spürte er wieder dieses Glas - so klar, daß man es kaum erkennen konnte. Die Bilder stellten halb bekleidete Damen dar, und Männer, die ihre Haare viel zu lang trugen und sie zu einem Schwanz zusammengebunden hatten.
Da war eine Tür, die zu einem Schrank führte, der keine Bretter hatte: Nur einen runden Stock, der von einem Ende zum anderen reichte und an dem seltsame Gebilde aus Stahl hingen. Da war auch ein Kabinett in diesem Zimmer, aber von einer Art, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Es bestand nur aus Schubladen! Er versuchte die obere Platte des Kabinetts hochzuheben; aber sie wollte sich nicht von der Stelle bewegen. Er zog die Schubladen der Reihe nach heraus, und das ging überraschend, fast unheimlich leicht.
Nach einer Weile begann er nach dem Nachttopf zu suchen; aber dieser war nirgends zu finden. Also ging er hinaus in den Garten hinter dem Haus, um dort einen Abort aufzusuchen. Aber es gab keinen.
»Haben diese Dinge sich in vierhundert Jahren so sehr verändert?« murmelte er für sich, während er seine Notdurft hinter einem Rosenbusch verrichtete. Er mußte dann ein bißchen am Reißverschluß herumfummeln; beherrschte ihn aber seiner Meinung nach ziemlich gut.
»Ich komme auch ohne diese Hexe zurecht«, sagte er zu sich und ging in das Haus zurück. Vielleicht würde er morgen aufwachen und feststellen, daß das alles nur ein Traum gewesen war - ein langer, schlimmer Traum.
Niemand hielt sich im Erdgeschoß auf, und so blickte Nicholas in ein Zimmer hinein, dessen Tür offen stand. Da befanden sich seltsame Möbel in diesem Raum, die mit einem feinen gewebten Stoff überzogen waren. Nicht die Zollbreite eines Stuhlbeins war darunter zu finden; aber als er sich auf so ein Ding setzte, wurde er von dessen Weichheit förmlich eingehüllt. Er dachte an seine Mutter und deren alte, gebrechliche Gebeine: Wie gut ihr so ein Stuhl bekommen würde, der mit so einem weichen Material überzogen war.
An einer Wand lehnte ein hoher, hölzerner Sekretär mit einem Schemel darunter. Das war etwas, das ihm irgendwie vertraut vorkam. Er ging zu diesem Möbelstück, untersuchte es, sah das Scharnier und hob den Deckel an. Es war kein Sekretär, sondern eine Art von Klavizimbel. Als er die Tasten berührte, klang es anders als bei jenem Instrument. Da befand sich eine geschriebene Musik vor ihm, und zum erstenmal hatte er etwas gefunden, das ihm aus seinem Jahrhundert vertraut war.
Nicholas setzte sich auf den Schemel, ließ die Finger über die Tasten streichen, um sich mit dem Klang dieses Instruments vertraut zu machen, und begann dann etwas holprig, aber nach den ersten Takten immer besser die Musik zu spielen, die vor ihm aufgeschlagen war.
»Das war wunderschön.«
Er drehte sich um und sah die Hotelinhaberin hinter sich stehen.
»>Moon River< gehörte schon immer zu meinen Lieblingsstücken. Wie kommen Sie mit Ragtime zurecht?« Sie suchte in der Schublade eines kleinen Tisches, auf dem eine außergewöhnliche Pflanze stand, und brachte ihm ein anderes Musikstück. »Das sind alles amerikanische Melodien«, sagte sie. »Mein Vater war Amerikaner.«
Dieses ungewöhnliche Musikstück, »The Sting« genannt, wurde nun vor Nicholas auf ein Brett gestellt, und es dauerte eine Weile, ehe er es zur Zufriedenheit der Frau vortragen konnte; aber sobald er es verstanden hatte, spielte er es mit großem Vergnügen.
»O mei, Sie sind so gut. Sie könnten in jedem Pub einen Job bekommen.«
»Ich werde diese Möglichkeit bedenken«, sagte Nicholas, als er
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