1197 - Unhold in der Nacht
Kelly O'Brien war tough, cool und ständig auf der Suche nach dem Kick. In ihrem Fall hieß das, auf der Suche nach Motiven zu sein, die den Rahmen des Ungewöhnlichen sprengten.
In den letzten Nächten wieder. Wochenlang hatte es anders ausgesehen. Da hatte sie Angst gehabt und kaum Schlaf gefunden. Immer wieder hatte sie das Bild ihres toten Kollegen Ike Cameron vor Augen gehabt. Ein Albtraum mit dem Namen Atlantis. Etwas Schreckliches und zugleich Unglaubliches, in das Kelly O'Brien und ihr Kollege Cameron hineingeraten waren.
Sie hatte überlebt, Ike nicht.
In einer anderen und längst versunkenen Welt war er gestorben. Von Monstren umgebracht, die es eigentlich nicht geben konnte oder durfte. Kelly hatte mit keinem fremden Menschen darüber gesprochen, nicht mal mit Kollegen, aber sie wusste Bescheid.
Ebenso wie die beiden Männer, die mit zu ihrer Rettung beigetragen hatten. Ein gewisser John Sinclair und sein Freund und Kollege Suko. Hinzu war noch eine fantastische Gestalt gekommen, die fliegen konnte und sich der Eiserne Engel nannte. Alles Tatsachen, auch wenn sie sich noch so ungeheuerlich anhörten.
Kelly wusste Bescheid.
Sie lebte. Sie hatte gelitten, aber die Zeit heilt viele Wunden, wenn auch nicht alle. Und so hatte sich die junge Fotografin zurückgezogen, von ihren Ersparnissen gelebt, war in Urlaub gefahren und hatte versucht, sich abzulenken.
Der Schlaf kehrte zurück, auch ohne Tabletten. Und Kelly O'Brien hatte sich wieder an ihren eigentlichen Job erinnert. Wer zu lange pausierte, der war out. Der wurde vergessen und konnte irgendwo putzen gehen. Out sein wollte Kelly nicht. Deshalb war sie über ihren eigenen Schatten gesprungen und hatte sich wieder auf die Jagd gemacht.
Einige gute Fotos waren ihr gelungen. Schnappschüsse von den sogenannten Promis aus der Welt des blauen Bluts. Die Bilder hatten sich sogar gut verkaufen lassen. Ein Anfang war gemacht worden, und Kelly konnte sich über Wasser halten. Andere Aufnahmen würden das große Geld und auch eine entsprechende Reputation bringen.
In gewisser Weise war Kelly auch ein Glückskind, denn sie hatte einen Riecher für bestimmte Ereignisse. Das war ihr einfach angeboren. Sie wusste oder konnte sich vorstellen, wo etwas passierte.
Oft genug war sie als Erste am richtigen Ort.
Menschen wie sie waren immer im Dienst. Kelly hielt Augen und Ohren offen. London war ein gewaltiges Potenzial. Hier ging immer die Post ab. Man musste nur den richtigen Riecher haben.
Kelly O Brian wollte das Besondere. Sie war jemand, der sich auch um kleine Meldungen kümmerte. Sie verstand es, hinter die Kulissen zu schauen und wusste genau, wann sie zuschlagen konnte.
Wie auch jetzt!
Es gab ihn. Sie hatte ihn nicht gesehen, aber es gab ihn. Er war ein Schatten, ein Angstmacher, der sich London als Jagdrevier ausgesucht hatte. Nicht eben die City, sondern die Stadtteile im Osten und südlich der Themse. Ein Ballungsraum für Menschen, die in alten Häusern mit überteuerten Mieten wohnten und auch diese fast nicht mehr bezahlen konnten, weil London immer teurer wurde.
Hier hockte man zusammen, hier regierten die Gesetze des Überlebenskampfes, aber auch Solidarität und Nachbarschaft.
Hier wurden Verbrecher geboren oder gemacht, aber auch Heilige lebten in diesem Umfeld. Familienväter ebenso wie Zocker, Junkies und Dealer. Alles war hier auf engstem Raum vertreten. Man schlug und vertrug sich, aber man lebte.
Und genau hier war der Schatten erschienen - die Bestie!
Ein Killer, ein Phantom, ein Geschöpf der Nacht. Kein Mensch, auch kein Tier, die Bestie eben.
Es hatte zwei Tote gegeben. Menschen, deren Körper regelrecht aufgerissen worden waren. Ausgeblutet hatte man sie in den schmalen Hinterhöfen zwischen Mülltonnen gefunden. Niemand hatte sich vorstellen können, wer so etwas tat.
Die Polizei war ratlos. Man dachte an einen Wahnsinnigen, einen Psychopathen, der einen irrsinnigen Hass auf die Welt und deren Bewohner in sich trug.
Das konnte so sein, musste aber nicht.
Kelly hatte nachgeforscht. Sie war durch das Viertel gestreift. Sie hatte alle Anfeindungen überstanden, und sie hatte es geschafft, sich mit manchen Bewohnern zu unterhalten, wobei sie die Ohren sehr weit offen gehalten hatte.
Es war ihr gelungen, Vertrauen zu schöpfen. Was man der Polizei nicht erzählt hatte, das war ihr berichtet worden. Zum ersten Mal war die Bestie ins Spiel gekommen.
Man hatte sie gesehen. Sie war kein Mensch. Mehr ein Schatten, aber ein
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