Mein Afrika-Tagebuch
verliert m an sich sofort in einem chaotischen, scheinbar endlosen Gewirr stinken d er, enger Gas s en, die du r ch Reihen bau f ällig e r Hütten aus Blech, Lehm, Zweigen und Löchern führen. Im allge m einen sind diese Bruchbuden m it Leh m boden drei m al drei Meter groß und beherbergen fünf, sechs Bewohner. In d e r Mitte jeder Gasse ver l äuft e i n f l acher Graben, durch den ein sch m ales Rinnsal tr ö p f elt. Es li e gen Dinge darin, die man nicht gern sieht und in die m an schon gar nicht hineintreten m öchte. Es gibt keine sanitären Einrichtungen – kein fließendes W asser, keine Müllabfuhr, so gut wie kei n en Stro m , kein einziges W asser k losett. In einem Teil m it Na m en Laini Saba gab es bis vor kurzem gerade m al zehn Latrinen für 40.000 Menschen. Besonders nachts, wenn Hinausgehen gefährlich ist, benutzen viele Leute etwas, das als »flieg e nde Toilette« bekannt geworden ist: eine Plastiktüte. Sie m achen die Tür auf und werfen sie so weit wie möglich hinaus.
In der Regenzeit verwandelt sich das Ganze in schlei m i gen Morast. In der Trockenzeit besitzt es den Char m e und das heilsa m e K l i m a einer Müllkippe. Im m er stinkt es nach Fäulnis. Ein bisschen ist es, als wandere m an durch einen Abort. Kib e ra ist schlimmer als der schlim m ste Ort, an dem Sie je gewesen sind.
Es ist aber nur einer von etwa 100 Slu m s in Nairobi und keineswegs der schli mm ste. Insgesa m t sind mehr als d i e Hälfte von Nairobis drei Millionen Einwohnern in diese extrem elenden Areale gepfercht, die zusam m en nur etwa 1,5 Prozent des Stadtgebiets aus m achen. W as, fragte ich David Sanderson, ist in Kibera besser?
»Es gibt eine Menge Fabri k en in der U m gebung«, sagte er, »also A r beit, wenn auch nur Gelegenheitsjobs. Hat m an Glück, verdient m an ein paar Dollar am Tag, vielleicht sogar soviel, d a ss m an was zu essen und einen Blechkanister W asser kaufen sowie ein wenig für die Miete zurücklegen kann.«
» W ie hoch ist die?«
»Ach, nicht hoch. Zehn oder zwölf Dollar im Monat. Aber der jä h r liche Durc h schnittsverdienst in Kenia beträ g t 280 $, da sind 120 oder 140 $ pro Jahr für Miete ein großer Teil des Einkom m ens. Und f a st alles andere hier ist ebenfalls t e uer, sog a r W asser. Die Leute in einem Sl u m wie Kibera zahlen im Durchschnitt fünf m al soviel für das Wasser wie die Leute in der entwickelten W elt, denen es ins Haus geliefert wird.«
»Unglaublich«, sagte ich.
Er nickte. »Jedes m al, wenn Sie die Toilette spülen, verbrauchen Sie m ehr W asser, a l s dem No r m alverbraucher in den Entwicklungsländern an einem Tag für alles zusam m en zur Verfügung steht: Kochen, Sauber m achen, Trinken, alles. Das ist schlim m . Für viele Menschen heißt Kibera im Grunde lebensl ä nglich. W enn m a n nicht das große Los zieht und eine Arbeit findet, ist es wahnsinnig schwer, hier vorwärtszukom m en.«
Jeden Tag landen weltweit 180.000 Menschen in Städten wie Nairobi oder werden dort geboren, hauptsächlich in Slu m s wie Kibera. Im 21. Jahrhundert entfa l len neunzig Prozent des Weltbevölkerungswachstu m s auf die Städte.
»Ob gut oder schlecht – so ist es, und hier liegt ihre Zukunft«, sagte David. Erstaunlich, aber Hilfsorganisationen wie CARE können für städtische Slu m s wie Kibera wenig tun. Die Regierungen stellen sich quer.
»Sie erla u ben m eist deshalb keinerlei dauerha f te Verbesserungen, weil sie befürchten, dass da m it nur Kiberas Existenz bestätigt würde. Außerdem haben sie Angst, dass noch m ehr Menschen auf die Idee kä m en, vom Land hierher zuziehen. Da tun sie lieber so, als ob es diese Slu m s gar nicht gäbe.«
»Aber sie wissen doch, d a ss Kibera hier ist.«
Lächelnd deutete er auf ein großes Haus, ein u m zäuntes Anwesen, das einen benachbar t en Berghang, nur ein paar hundert Meter vom Rand Kiberas entfernt, do m inierte: die Nairobier Residenz von D a niel arap Moi, seit 1978 kenianischer Staatspräsident. »Er sieht es, jeden Morgen, wenn er aus d e m Fenster schaut. Die Regierenden wissen ganz genau, dass Kibera existiert.«
Ich fragte Bonard Onyango, einen unserer Beschützer, einen freundlichen Mann unbestimmten Alters, ob er schon im m e r in Kibera gewohnt habe.
»Nein, nein«, sagte er. »Ich bin vor zwanzig Jahren vomLand hierher gekom m en.«
» W ie schlimm muss es auf d e m Land sein, wenn Sie lieber hier leben wollen?«,fragte ich.
»Auf d e m Land ist es sehr schön«, erwiderte er.
Weitere Kostenlose Bücher