Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
dem Dachboden, umgeben von surrenden Modelleisenbahnen, die ihn in Ruhe ließen und nichts von ihm verlangten, außer im Kreis herumfahren zu dürfen.
Trotzdem. Ob Biggi sich etwa über Wanda einen Gutschein erschleichen wollte? Sie musste doch wissen, dass sich Wanda die exorbitanten Gebühren sowieso nicht leisten konnte? Nun, das würde sich ja herausstellen.
»Was will die eigentlich immer da?«, fragte Marianne.
Wanda zögerte kurz. Sollte sie Marianne einweihen? »Biggi will abnehmen. Sich halbieren, genauer gesagt. Damit sie wieder so aussieht wie vor fünfundvierzig Jahren. Ihre Jugendliebe hat sich nämlich wieder bei ihr gemeldet und will sie treffen. Und da hat sie Panik bekommen.«
»So ein Blödsinn. Wahrscheinlich ist der selber in die Breite gegangen. Ist doch bei allen so.«
»Bei dem nicht. Er treibt wahnsinnig viel Sport. Marathon und Radtouren und Bergsteigen. Der ist topfit.«
Marianne schüttelte befremdet den Kopf angesichts dieses ungestümen Bewegungsdranges. Sie rührte noch einen Löffel Zucker in ihren Kaffee. »Ich meine – ich hätte ja auch gern eine gute Figur«, gab sie dann zu. »Aber noch lieber habe ich täglich ein leckeres Stück Kuchen. Ohne Kuchen könnte ich gar nicht leben.«
Das unterschrieb Wanda sofort. »Musst mir mal das Rezept geben.«
Marianne nickte befriedigt. »Die Hälfte habe ich eingefroren, für die Kati.«
Kati war Mariannes Tochter, die auch in der Stadt wohnte, genau wie Wandas Sohn Stefan und ihre Tochter Franziska. Nur mit dem Unterschied, dass Kati jede Woche treu bei ihrer Mutter vorbeischaute, während Stefan und Franziska dauernd viel zu beschäftigt waren. Er mit Sport und sie mit Arbeit.
Wanda seufzte. »Du hast es gut. Ich sehe den Stefan bestimmt erst wieder zu Weihnachten, und wenn Franziska mal zum Kaffee vorbeikommt, ist sie garantiert auf Diät.« Nicht dass es etwas brachte, fügte sie in Gedanken hinzu. Franziska, die als Kind im Schwimmteam unschlagbar gewesen war, hatte sich im Laufe der Jahre in ein Buchhaltungs-Pummelchen verwandelt, das nicht mal mehr Rad fuhr.
»Hat der Stefan denn endlich wieder eine Freundin? Der ist doch jetzt auch schon fast dreißig?« Marianne beugte sich in Erwartung pikanter Details nach vorn.
»Ich glaube nicht. Er ist gestern mit Freunden nach Bayern gefahren. Da liegt schon Schnee. Zum Snowboarden.«
»Zum was?«
»Snowboarden. Wie Surfen, halt auf Schnee.«
»Kenne nur Skifahren. Und was da dran schön sein soll …« Marianne schüttelte sich leicht. Sie nahm ein drittes Stück von ihrem Kuchen. »Vielleicht ist er ja schwul? Das gibt es doch heutzutage oft.«
»Unsinn.« Wanda winkte ab. »Er hatte doch jahrelang eine Freundin. Die Tina. Das ging ja leider auseinander.« Leider war die blanke Lüge. Wanda war heilfroh, dass die misslaunige, gepiercte Tina auf Nimmerwiedersehen aus Stefans Leben verschwunden war. Und bei Franziska sah es in Sachen Heirat auch nicht viel besser aus. Wenigstens hatte die seit ein paar Monaten einen Freund. Einen Buchhalter aus ihrer Abteilung, mit dem Charisma einer Weinbergschnecke und einer Vorliebe für Countrymusik und Bausparverträge. Eigentlich ein gutes Zeichen, dass von Heirat keine Rede war.
»Hat der Stefan immer noch den Sportladen?«, riss Marianne sie aus ihren Gedanken.
»Sein Studio Herkules meinst du wohl. Das ist kein Laden, sondern ein Klub. Die machen da Bodybuilding.«
Marianne sah sie leer an.
»Du weißt schon, Kraftsport.«
»Kraftsport?«
Wanda gab es auf. Sollte jemals ein Wettbewerb für die unsportlichste Frau der Welt stattfinden, würde Marianne kaum zu schlagen sein. Wanda rieb sich den Nacken, der jetzt, eine Woche nach dem Salsa-Desaster, immer noch nicht ganz in Ordnung war.
Marianne sah sie mitfühlend an. »Tut’s noch weh? Was rennst du auch zu so einem Unsinn. Komm doch lieber wieder mit zu Englisch.«
O Gott. Wanda rührte hastig in ihrer Tasse, obwohl kaum noch Tee drin war. Der Englischkurs, zu dem sie Marianne auf deren Drängen hin begleitet hatte, war vor drei Wochen genauso ein Reinfall gewesen wie der Salsakurs, obwohl bei Englisch zugegebenermaßen mehr Männer vertreten waren. Aber was für bornierte Affen. Sie gaben an wie Prinz Charles persönlich, und Wanda war schleierhaft, warum sie es überhaupt noch nötig hatten, so einen Kurs zu besuchen. Wahrscheinlich, um sich über Leute wie sie und Marianne zu amüsieren. Und das taten sie dann auch genüsslich, als Marianne den Satz It does not matter
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