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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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heraus.
    „Hier, Vivi“, er reichte mir einige Banknoten.
    „Danke“, sagte ich. Ich hörte, daß meine Stimme unsicher klang.
    „Du mußt sagen, ob wir die Ausgaben für den Haushalt zu knapp berechnet haben. Ich dachte, es müßte reichen. Gesellig leben wir ja nicht.“
    „Nein, weiß Gott! Wenn du nicht zwei Tees für Lilian und mich als Geselligkeit rechnest. Hätten wir nur ab und zu Gäste! Warum bittest du denn niemand zu uns, Johannes?“
    Johannes stand da, die Hände in den Hosentaschen. Er hob den Kopf, blickte über mich hinweg, weit weg an mir vorbei.
    „Wen sollte ich denn einladen?“
    „Das ist es ja gerade“, brauste ich auf, „warum vergräbst du dich eigentlich in eine ,splendid isolation’? Hältst du dich für zu gut, um dich unter gewöhnliche Sterbliche zu mischen? Gibt es niemand, der erlesen und ordentlich genug ist für dich? Was für ein Mannsbild bist du eigentlich, Johannes? Wenn man bedenkt – ein Mann, der keine Freunde hat!“
    Da blickte mich Johannes an, sein Gesicht war bleich, und um seinen Mund lag ein bitterer Zug. Seine Stimme war ganz leise, als er antwortete: „Du hast recht, Vivi, ich habe keine Freunde.“
    Er ging still zur Tür hinaus. Ich hörte seine Schritte im Vorzimmer, und ich hörte ihn die Tür zu der kleinen weißen Kammer öffnen und wieder schließen.
    Wie konnte ich nur!
    Obgleich ich im Augenblick das Ausmaß meiner Roheit nicht begriff, soviel wußte ich immerhin, daß ich etwas schrecklich Verletzendes gesagt hatte.
    Sechs Jahre vorher hatte Johannes mich verprügelt, ungerechtfertigt. Blitzartig ging es mir auf, daß ich jetzt Schläge verdient hätte. Die von damals hatte ich nur als Vorschuß für etwas bekommen, für das ich viel, viel mehr Prügel verdient hätte.
    Als wir uns am nächsten Morgen beim Frühstück trafen, ging ich zu ihm und legte meine Arme um seinen Hals. „Verzeihung, Johannes.“
    Er strich mir über die Haare, sagte nichts.
    Wir aßen und schwiegen.

Eine Freundin, ein Sonntagsessen
und ein Geschenk
     
     
    „Nein, aber… Vivi!“
    Ich blieb stehen und schaute auf ein großes, braunhaariges junges Mädchen mit einem feinen, ovalen Gesicht, glitzernden grauen Augen und schmalen bogenförmigen Brauen. Die schlanke Figur war in einem molligen Pelzmantel verborgen.
    Eine Sekunde, dann erkannte ich sie.
    „Elsa, bist du es wirklich?“
    „Menschenskind, Vivi, wie schön, daß ich dich treffe! Ich hatte mir gerade vorgenommen, dich anzurufen. Wie geht es dir? Was treibst du? Hast du es eilig? Komm, trinken wir zusammen einen Kaffee!“
    Elsa nahm mich beim Arm und zog mich in die nächste Konditorei.
    Wir hatten einander viele Jahre nicht gesehen. Genauer gesagt, seit wir in die letzte Klasse der Schule gegangen waren. Damals waren wir ganz große Freundinnen gewesen, hatten nebeneinander auf einer Bank gesessen und unsere tiefsten Geheimnisse einander anvertraut. Dann war Elsa verschwunden. Ihre Eltern waren fortgezogen.
    Post hatte ich kaum von ihr bekommen. Mädchen von dreizehn Jahren sind im allgemeinen keine besonders eifrigen Briefschreiberinnen.
    Nur ein paarmal hatte sie geschrieben. Sie lebte in Schweden und war dort in die Ballett- und Theaterschule gegangen. Auch Gesangsunterricht hatte sie genommen. Schauspielerin hatte sie schon werden wollen, als sie noch winzig klein war, und sie schien für diesen Beruf auch sehr begabt und hatte ihr Ziel immer vor Augen.
    Die Zeit verging. Jede von uns hatte neue Interessen und neue Freunde gewonnen. Ich war ja drei Jahre von daheim fort gewesen und hatte in dieser Zeit den Kontakt mit vielen alten Freundinnen verloren. Ich freute mich so, gerade Elsa wiederzusehen.
    „Erzähle, Elsa. Wie kommt es, daß du plötzlich hier bist? Wirst du hier bleiben? Und was treibst du? Und…“
    „Stopp, das langt vorderhand. Was ich treibe? Ich spiele Theater. Habe einige kleine Rollen in Schweden und ein paar große Rollen auf Tournee gehabt. Der Theaterdirektor hier in der Stadt hat mich auf einer Tournee gesehen, er kennt Papa und erinnerte sich meiner aus der Zeit, als ich noch klein war. Kurz und gut: Ich komme in diesem Augenblick von ihm… mit diesem…!“
    Elsa wedelte mir mit einem zusammengefalteten Papier um die Nase.
    „Was ist es denn, Elsa?“
    „Ein Kontrakt, mein Mädchen. Für ein halbes Jahr! Ich habe einige feine Kritiken von Schweden, verstehst du? Übrigens hat er mich auch geprüft. Und es ist ein wahres Glück, daß gerade du mir in den Weg gelaufen

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