Mein Herz ruft deinen Namen
ist es, was mich am meisten verletzt, ich bin doch dein Vater und nicht irgendein Passant, dem man Sand in die Augen streuen kann.
Ich bin dein Vater, der, der dich gezeugt hat, wie kannst du mich anlügen, dich vor mir verstecken? Mit diesem Verhalten bewirkst du, dass ich mich vollkommen nutzlos fühle. Man braucht mich nicht, ich kann dir nicht helfen, mir kannst du dein Herz nicht ausschütten, weil ich nichts weiter bin als ein Teil der Landschaft, ein armer blinder alter Mann, dem man lieber Märchen erzählt. Dass du existierst, ist mein Wille und der Wille deiner Mutter – wie kannst du also denken, dass ich nicht in der Lage sei, dich anzunehmen, dich an der Hand zu nehmen wie als Kind und mit dir zusammen zu gehen? Was ist denn Vaterschaft, wenn nicht dieses ständige Annehmen, die ständige Fähigkeit, den wieder aufzurichten, den man gezeugt hat?
Meine Nächte sind lang, endlos, weil meinen Augen bei Sonnenaufgang nicht der Trost des Lichts gespendet wird. So denke ich häufig daran zurück, wie du noch klein warst, wie ich das erste Mal dein Gesicht gestreichelt habe, wie ich dich in den Arm genommen und neben meinem Herzen deinen zarten Herzschlag gespürt habe. Ich denke daran, wie ich zum ersten Mal deine Schritte durch die Wohnung tappen hörte, zuerst unsicher, ängstlich, dann immer wilder.
Erinnerst du dich, wie gern du mit mir auf der Seepromenade oder auf den Feldern rund um das Haus der Großeltern spazieren gegangen bist? Einmal, du warst in der ersten Klasse Grundschule, hast du meine Beine umarmt und gesagt: »Ich hab dich lieb, weil du ein ganz besonderer Papa bist.« »Warum besonders?«, habe ich dich gefragt. »Weil du mir alles beibringst«, hast du geantwortet. Und auch in den zuweilen harten Diskussionen während deiner Pubertät war ich so glücklich über deine Unabhängigkeit des Denkens, über deinen Wunsch nach Stimmigkeit. Sich nicht zufriedenzugeben war ein Merkmal deines Charakters. Wo ist dieser Teil geblieben? Bist du jetzt mit dir zufrieden? Schaust du in den Spiegel und bist zufrieden? Das müsstest du mir sagen, denn falls es so ist, habe ich eindeutig alles falsch gemacht.
Da war die Tragödie, gewiss. Eine schreckliche Tragödie, und sie hat dein Leben verändert. Doch ich habe an diesem Punkt die Pflicht, dich zu fragen: Warum hast du zugelassen, dass sie dich verändert hat? Habe ich dir etwa nicht gezeigt, dass es eine andere Art gibt, mit den Dingen umzugehen? Glaubst du, für mich sei es leicht gewesen, meinen Vater und meine Schwester explodieren zu sehen? Glaubst du, es sei leicht gewesen, für immer mit diesem in meine nun nicht mehr vorhandene Netzhaut eingebrannten Bild zu leben?
Du weißt, dass ich davon träumte, Kapitän zu werden, und schon als Kind Stunden am Hafen verbrachte, um die Schiffe ankommen zu sehen. Ich konnte es kaum erwarten, erwachsen zu werden, um mir diesen Traum zu erfüllen. Doch das Schicksal hat anders für mich entschieden, und mit diesem Schicksal musste ich mich auseinandersetzen. Am Anfang war es hart, sehr hart, doch dann, mit der Zeit, habe ich verstanden, dass das Schicksal nichts anderes ist als der Weg, den du gehen musst, um dir selbst zu begegnen. Mit allem muss man sich früher oder später abfinden.
Ich lebte ja noch, und das Leben wollte geliebt werden, wollte Tag für Tag ehrlich, standhaft und mutig aufgebaut werden. An Deck eines Schiffes kann man ein Held sein, aber man kann es auch sein, indem man auf einem Balkon sitzt, mit seinem Kind neben sich, das laut die Namen der Fähren ruft.
Nicht die Dinge, die wir tun, verleihen unseren Tagen Qualität, sondern wie wir sie tun. Deshalb müssen wir sie immer auf die menschlichste, beste Weise tun. In jeder einzelnen Geste muss Größe und Würde liegen. Man darf sich nie klein machen lassen, nie erniedrigen lassen, denn das Leben ist wie das Meer: Es gibt windstille Augenblicke, und es gibt Stürme; in beiden Fällen muss man sich bewusst sein, dass es das Wichtigste ist, aufrecht auf der Kommandobrücke zu stehen: dank deiner Rechtschaffenheit wird das Schiff den Hafen erreichen, dass du nicht aufgibst, nicht der Angst nachgibst, wird es ermöglichen, die Ladung, die Besatzung und die Passagiere zu retten, die dir anvertraut wurden.
Mit seinem Leben hat mich mein Vater Seelengröße gelehrt, das Gleiche habe ich versucht, dich zu lehren. Deshalb bitte ich dich, Matteo, komm wieder zu dir, nimm die Last dieses Scheiterns von meinen alten Schultern. Sei ein Mann,
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